Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
werde ihn deshalb von der Liste streichen. Ich rate Euch, Blutrichter, weitere Zeugen etwas pfleglicher zu behandeln. Für heute ist die Sitzung des Tribunals beendet“
***
Der König trat in Housts Arbeitszimmer ein. Es befand sich immer noch in einem jämmerlichen Zustand. Zwar hatten die Zimmermädchen die Bücher und Schriftstücke mittlerweile säuberlich aufgestapelt und das kaputte Regal entfernt, doch noch immer hing die Tapete in Fetzen von der Wand und die Vorhänge schief neben dem Fenster. Auf dem Sekretär lagen die Bruchstücke einer Porzellanfigur, dem Schrank gegenüber fehlten eine Tür und mehrere Schubladen. Sie waren noch bei der Reparatur. In einer Ecke türmte sich ein Haufen kaputter Gerätschaften.
Der König kam nicht allein. Doch selbst Houst benötigte einen Moment, bis ihm der Begleiter des Königs auffiel. Es war einer dieser Männer, die im Verborgenen ihren Dienst tun und deren hervorstechendstes Merkmal darin bestand, niemandem aufzufallen. Unter dieser Prämisse war jener Mann einer der Besten. Denn während der König am Schreibtisch gegenüber von Houst Platz nahm und dort sichtlich Präsenz zeigte – für einen König nicht unüblich –, stellte sich der Mann so geschickt neben das Fenster, dass er im Gegenlicht kaum noch zu sehen war, ja scheinbar mit dem Fenstervorhang verschmolz. Selbst wenn man – wie Houst – genau hinsah, konnte man weder sein Gesicht, noch die Farbe oder Form seiner Kleidung, ja nicht einmal seine Statur erkennen. Damit empfahl der Mann sich für all jene Aufgaben, die nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollten.
„Mein zukünftiger Schwiegersohn versucht, das Tribunal mit seinen kleinen Tricks zu beeinflussen“, begann der König.
Houst hob die Augenbrauen.
„Zukünftiger Schwiegersohn?“, fragte er erstaunt.
„Oh, Lebell hatte Kirai Nomo quasi versprochen, wenn er sie in den Palast zurückbringt. Sie ist von ihm und seinen Fähigkeiten sehr angetan. Es widerstrebt mir zwar, meine Tochter in die Hände dieses selbstgefälligen Emporkömmlings zu geben, aber leider fehlen mir derzeit noch die Argumente, dies zu verhindern“, antwortete der König.
„Nomo wird davon nicht begeistert sein“, sagte Houst.
„Ich weiß. Vielleicht ändert Lebell ihre Meinung, wenn wir Kirai vor dem Tribunal bloßstellen. Dafür habe ich auch schon eine Idee. Sicher wird Kirai die Aussage deines Schülers Sleem und die Tatsache, dass er dich mit Nomo in der Stadt vorgefunden hat, bald vor dem Tribunal ausbreiten“, führte der König aus.
„Ja, wie erwartet hat Sleem die von mir beabsichtigten Schlüsse gezogen und so das Gerücht verbreitet, ich hätte Nomo in der Stadt versteckt. Natürlich eine meiner falschen Spuren, es konnte niemand ahnen, dass Nomo in Chaks alter Wohnung auftaucht. Nur die Alten wissen, woher ihr junger Begleiter sie kannte“, bemerkte Houst.
„Das spielt erst einmal keine Rolle. Wir sollten nur dafür sorgen, dass diese Spur auch eine falsche Spur bleibt! Du hast ihm von einer Freundin erzählt? Jeder hier im Palast kennt noch deinen Ruf als Herzensbrecher. Wir präsentieren dem Tribunal einfach diese Freundin. Eine Frau von Nomos Statur sollte sich finden lassen, eine helfende Hand für die Suche habe ich bereits mitgebracht. Sobald also Kirai deinen Schüler als seinen Belastungszeugen ins Spiel bringt, stellen wir deine Freundin vor“, sagte der König.
„Mmh, kein schlechter Gedanke. Damit wird Kirai nicht rechnen, seine ganze Beweiskette fällt so auseinander. Was machen wir mit dem jungen Mann, der Nomo begleitet hat? Früher oder später wird Kirai ihm irgendein Geständnis aus der Seele prügeln. Nomo hat bereits ausgesagt, ihr Begleiter hat sie in die Wohnung geführt. Dass er den Befehl dazu von mir hatte, braucht ihm Kirai nur noch in den Mund legen. Dann wäre eine Freundin kaum mehr von Wert, den Tribunen blieben zumindest Zweifel“, gab Houst zu bedenken.
„Niemand würde sich darüber wundern, wenn jemand Kirais Verhöre nicht überlebt. Ein Toter kann keine Aussage mehr machen. Ich werde jemanden zum Kerker schicken“, schlug der König vor.
„Gut, dann fehlt nur noch eine Freundin für mich“, sagte Houst.
„Ich mache mich sogleich an die Arbeit, mein König“, sagte der Begleiter des Königs aus dem Hintergrund.
„Ich habe vor Sleem von einer Lady in misslichen Umständen gesprochen. Sie sollte also aus gutem Haus stammen oder sich zumindest so benehmen. Die Tochter eines verarmten Händlers
Weitere Kostenlose Bücher