Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
schrie, bevor er wieder in Ohnmacht fiel. Eine beachtliche Auswahl an Salben und Tinkturen stand auf dem Boden neben dem Heiler. Immer wieder griff er zielsicher nach einem der Töpfchen oder Fläschchen, träufelte hier ein paar Tropfen in eine offene Wunde oder rieb dort eine geschwollene Stelle ein. In regelmäßigen Abständen seufzte er, schüttelte dann mit dem Kopf und blickte mit hängenden Schultern auf Kos.
„Ich kann keine Wunder vollbringen“, murmelte er.
Schritte hinter ihm ließen den Heiler aufblicken. Die Tür zur Zelle wurde aufgeschlossen und Kirai trat ein.
„Wie weit seid Ihr?“, fragte Kirai harsch.
„Fast fertig. Vielleicht ist er morgen wieder bei Bewusstsein. Dass er dabei auf seinen eigenen Beinen steht, halte ich allerdings für ausgeschlossen“, antwortete der Heiler.
„Wofür bezahle ich Euch? Sorgt gefälligst dafür, dass er es tut! Diese kleine Missgeburt hat mich lange genug an der Nase herumgeführt. Sicher simuliert er nur“, schnauzte Kirai und trat mit dem Fuß gegen Kos Hüfte.
„Ich bin Heiler, kein Zauberer! Falls Ihr glaubt, eure … Behandlung sei erfolgversprechender, werde ich den Jungen in Eurer Obhut belassen“, entgegnete der Heiler.
Dabei stand er auf und stellte sich demonstrativ vor Kirai. Dieser ballte für einen Moment die Fäuste, zog die Augenbrauen finster zusammen und starrte den Heiler an. Der Heiler hielt dem Blick stand, Kirai machte auf den Hacken kehrt und stolzierte aus der Zelle. Hinter ihm krachte die Tür zu. Das Schloss ächzte, als sich der Schlüssel in ihm drehte.
***
„Der Blutrichter verspricht uns nun schon seit drei Tagen einen Zeugen. Er verhöhnt doch damit das hohe Tribunal. Vorsitzender Kolat, Ihr solltet dieser Farce ein Ende setzen!“, polterte der König.
„Blutrichter, die Beschwerde unseres Königs ist durchaus berechtigt. Auch das Tribunal verliert langsam die Geduld. Entweder Ihr präsentiert jetzt Euren Zeugen oder er wird aus der Liste gestrichen“, entschied Kolat.
„Ich beuge mich natürlich der Entscheidung des hohen Tribunals, Vorsitzender Kolat, und werde den Zeugen sofort holen lassen. Aber Ihr müsst entschuldigen, dass er immer noch nicht vollständig genesen ist“, antwortete Kirai.
Dann winkte er eine seiner Wachen herbei und tuschelte kurz mit ihr. Die Wache verließ den Saal und Kirai wandte sich wieder dem Tribunal zu.
„In der Zwischenzeit möchte ich die Ereignisse aus der Sicht der Prinzessin noch einmal rekapitulieren“, begann er.
„Meine Tochter hat ihre Aussage nun schon dreimal wiederholt. Ich glaube nicht, dass uns ein viertes Mal neue Erkenntnisse bringen wird“, unterbrach ihn der König.
„Ich möchte die Aussage der Prinzessin nur noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, sie ist elementar für die Befragung des Zeugen. So hat die Prinzessin ausgesagt, dass sie bei einem Ausflug auf den Markt der Stadt von Dieben überfallen und ausgeraubt wurde. Ich selbst war bei diesem Ereignis anwesend und kann die Angaben der Prinzessin bestätigen. Mir gelang es damals, einen der Diebe zu stellen. Dieser wird in Kürze hier unser Zeuge sein. Allein die Tatsache, dass er am Tag des Raubs von seinen Kumpanen befreit wurde, unterstreicht seine Wichtigkeit. Ohnehin erscheint mir der Raub nur vorgeschoben gewesen zu sein. Höchstwahrscheinlich sollte die Prinzessin bereits damals entführt werden. Allein meinem beherzten Eingreifen ist es zu verdanken, dass dieser erste Versuch scheiterte. In einer meiner Befragungen hat der Zeuge dies indirekt auch schon zugegeben. Während die Wachen in der Stadt noch nach den entflohenen Dieben suchten, schlichen diese sich in das Herz unseres Palastes und entführten die Prinzessin vor unserer aller Augen. Eine Tat die an Dreistigkeit kaum zu überbieten ist“, führte Kirai aus.
„Das wissen wir bereits. Was hat das alles mit Großwesir Houst zu tun?“, warf der König ein.
„Es hat alles mit dem Beschmutzten zu tun. Denn wurde nicht die Prinzessin just auf dem Weg zum ihm entführt? Hatte sie dabei nicht den Weg durch die Gärten genommen? Eine Vorliebe, die der Beschmutzte bestens kannte. Er ist nur deshalb nicht auf dem Ball erschienen, weil er die Ereignisse geplant hatte“, entgegnete Kirai.
„So ein Unsinn! Ich selbst und meine werte Gemahlin, Königin Isi, haben unsere Tochter zu meinem Bruder geschickt. Wie sollte dies mein Bruder geplant haben? Es ist nicht üblich, dass eine Prinzessin Botendienste…“
Der König wurde von
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