Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
nicht wie lange, oder ob es überhaupt funktioniert. Wir sollten uns also beeilen“, sagte Beo.
„Wir haben schon ewig gebraucht, dich wach zu bekommen!“, mischte sich Mo ein, „Über die Ho … dieses Fest in deinem Kopf reden wir später“
Dabei grinste sie ihn breit an. In seinem Kopf? Meinte sie seinen Traum von vorhin? In Ilbis Nähe hatte sich Zemal angewöhnt, nichts zu denken, soweit dies ging. Ilbi hatte ihn mehr als einmal überrascht, Bilder und Worte wiedergegeben, die gerade durch seinen Kopf waberten. Aber Mo war nicht Ilbi, was wusste sie von seinen Gedanken? Nun, das spielte jetzt keine Rolle. Er würde es noch früh genug erfahren.
„Gut, lasst uns gehen. Hier entlang“, sagte Zemal.
Mo und Beo sahen sich überrascht an, folgten Zemal aber. Die anderen drei fanden nichts dabei, das Zemal den Weg zu kennen schien. Sie durchquerten unzählige Gänge, die keiner von ihnen jemals zuvor gesehen hatte, stiegen Treppen hinauf und hinab, bogen mal links mal rechts ab. Nie musste Zemal auch nur einem Moment überlegen. Lediglich zweimal warteten sie, ließen in der Ferne eine der Maschinen passieren, bevor sie weitergingen. Schließlich schritten sie durch jene Tür, die Zemal bei seinem ersten Fluchtversuch bereits benutzt hatte. Die Tür knallte hinter ihnen ins Schloss, ließ sie im Halbdunkel zurück. Irgendetwas zog Zemal hierher. Der Weg zeichnete sich so klar in seinen Gedanken und wirkte doch so seltsam fremd. Er gehörte nicht zu ihm, nicht zu Zemal dem Verdammten. Diese Erkenntnis schockierte ihn.
„Ich war schon einmal hier“, sagte er, „Ich … Da entlang“
Wie eine Marionette, getrieben von etwas Fremden hetzte Zemal weiter. Beständig blitzten Bilder in seinem Kopf auf, die Umgebung veränderte sich. Die Ruine, düster und grau, hellte sich auf. Farbige Wände, Licht, Menschen kamen ihnen entgegen, grüßten freundlich. Zemal schüttelte diese Visionen ab, konzentrierte sich auf die Wirklichkeit. Vollends gelang ihm dies nicht. Bald schon, konnte Zemal die Bilder von der Wirklichkeit kaum noch trennen.
Sie liefen an Räumen vorbei, in denen Menschen flehentlich an die Fensterscheibe in der Tür schlugen. Das Licht der Alten flackerte wild an der Decke. Jemand rief ihm etwas zu, es klang nach einer Warnung. Ein Mann im weißen Kittel hetzte an ihm vorbei. Andere Menschen rannten vor ihm durch die Gänge. Maschinen der Alten trieben sie vor sich her. Blitze zuckten …
Mo schrie, Zemal schrak auf.
„Was ist?“, wollte Beo wissen.
„Er sieht Dinge, vergangene Ereignisse, Menschen. Hier ist etwas passiert, etwas Schlimmes. Dieses Gebäude ist ein Grab“, erklärte Mo.
„Zemal?“, fragte Beo.
„Nur ein Traum, ich … Gehen wir weiter“, stammelte Zemal und lief in den nächsten Raum.
„Erinnerungen, kein Traum“, flüsterte Mo und sah sich ängstlich nach allen Seiten um.
„Scheiße, Nadamal und die Alten sollen verflucht sein!“, sagte Tikku.
Vorsichtig folgten sie Zemal. Mit offenem Mund blieben sie am Eingang des Raumes stehen. Durch den ganzen Raum zog sich ein Geflecht aus dünnen, grauen Fäden. Mal größere und mal kleinere Knoten verbanden die Fäden miteinander. Es bewegte sich, zuckte immer wieder an verschiedenen Stellen. Das unregelmäßige Gespinst wuchs aus den Resten unzähliger menschlicher Leiber heraus, drapiert um einen schmalen, leuchtenden Sockel, eine Maschine der Alten, über der – gehalten von den Fäden – eine kleine metallene Kugel schwebte. Manche der Körper waren noch beinahe vollständig erhalten, bei anderen lag lediglich ein kümmerlicher Rest des Kopfes da. Ein einzelner Arm winkte, Augen zwinkerten und starrten zu Mo herüber. Inmitten des Berges aus Leichen, direkt hinter der Maschine stand Zemal, seine Arme streckten sich nach dem Netz aus, die Fingerspitzen berührten einige der Knoten. Sein Blick starr, entrückt, die anderen Nachtjäger nahm er nicht mehr wahr.
***
Der Regen prasselte auf das gläserne Dach des Ganges. Wasser floss an den Seitenscheiben herunter, ein braungrüner Belag bedeckte große Flächen. Alles dahinter verschwamm dadurch zu einer grauen Masse, die sich im Rhythmus der Blitze ruckartig zu bewegen schien.
„Ich mache mir Sorgen um Houst. Sollten wir nicht doch noch einmal unten nachsehen?“, meinte einer der beiden Verdammten.
„Aah, meine Krücke ist schon ganz schwammig, der Stiefel quietscht bei jedem Schritt. Wir sind mehr als eine Stunde um jeden einzelnen Pfeiler herum gewatet.
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