Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
der Händler des nahe gelegenen Geschäfts davon scheuchte, schrak Kex regelrecht auf. Gerade rechtzeitig. Denn wenige Meter von ihm entfernt, schlenderte Jarol um die Ecke. Ein Wink des Schicksals, dachte Kex, seine Hand krallte sich dabei um den Griff des Messers, bis die Knöchel weiß hervortraten. Kex folgte Jarol unauffällig, hier waren für eine Konfrontation zu viele Leute. Ohnehin trieb Kex die Neugier. Wer war dieser Jarol? Hieß er tatsächlich so? Wo versteckte er sich? Für wen arbeitete er? All diese Fragen wollten beantwortet werden. Jarol sprach mit einigen Händlern, doch Kex konnte die Worte nicht verstehen, es war zu laut und Kex zu weit entfernt. In einem der Läden kaufte Jarol sogar ein, unternahm dabei nicht einmal den Versuch, etwas zu stehlen, obwohl der Händler von einem anderen Kunden abgelenkt wurde. Dieser junge Mann, der sich Jarol nannte, mochte alles Mögliche sein, ein Dieb war er nicht. Ein Paket mit nicht eben billigen Seidentüchern unter dem Arm zog er weiter. Sein Weg führte ihn heraus aus dem Händlerviertel, die leerer werdende, große Straße Richtung Palast. Was wollte er da? Kex hielt nun gehörigen Abstand, nahm bisweilen einen Umweg durch einige Seitengassen. Doch Jarol, drehte sich nicht ein einziges Mal um, Kex blieb unentdeckt. So erreichten sie das große Tor zum Palastbezirk. Jarol nickte den Wachen freundlich zu, sie hielten ihn nicht auf. Auch der Sohn eines Bauern war Jarol damit wohl kaum. Für eine Weile wartete Kex in der Nähe des Tores. Doch als Jarol auch nach einer guten Stunde nicht wieder auftauchte, ging er zurück zum Versteck.
***
Der Tempel. Ein riesiger Prachtbau, größer als der Palast des Königs. Ein Gebäude aus den Anfängen des Königreichs – noch vor den Bruderkriegen –, als die Priester aus einzelnen Beseelten mächtige Clans formten. Gezielt gezüchtete Familien mit der Hohepriesterin als Brutmutter. Noch heute versuchten einige reiche Händler, sich so einen Platz im Palastviertel zu erkaufen. Doch es wurden immer weniger. Die etablierten Beseelten tolerierten derartige Neuankömmlinge kaum, meist überlebten die Kinder einer solchen Verbindung die ersten fünf Jahre nicht. Den Tempel und seine Priester machte das beinahe überflüssig, die einstige Macht nur noch ein schwacher Schatten. Sie verlegten sich zunehmend auf spirituelle Themen, fütterten die Legenden über die Alten mit immer neuen Halbwahrheiten. Menschen brauchten etwas, an das sie glauben konnten, so hatte es zumindest Nomos Onkel Houst einmal beschrieben. Dass die Priester sich im Geheimen sehr wohl in die Politik einmischten, wie Hem behauptete, war Nomo bisher nicht aufgefallen. Einzig der spektakuläre Tod von Pegul mochte als Hinweis gelten, Nomo hielt es eher für einen familiären Racheakt. Sie hatte den Tempel das letzte Mal in ihrer Kindheit besucht. Seine schiere Größe bereitete ihr damals wie heute Unbehagen. Sie war der einzige Gast, erregte bereits beim Eintreten Aufmerksamkeit. Einer der Priester kam sofort zu ihr, begrüßte sie überschwänglich.
„Prinzessin Nomo, es freut mich außerordentlich einen solch hochstehenden Gast hier in unserem schönen Tempel begrüßen zu dürfen“, rief der Priester schon von weitem, „Eure Präsenz erhellt diesen Ort. Das letzte Mal wart Ihr noch ein liebreizendes Kind, jetzt eine wunderschöne Frau. Wie kann der Tempel Euch zu Diensten sein? Ihr wollt Euch doch nicht etwa als nächste Hohepriesterin bewerben?“
„Bliebe mir damit eine Hochzeit erspart?“, fragte Nomo.
„Die Hohepriesterin ist die Mutter aller Beseelten, sie gehört keinem Mann allein. Ich kann Euch gern in die Liste der Kandidatinnen eintragen. Nur fürchte ich, eine Kandidatur hätte wenig Aussicht auf Erfolg, auch wenn ihr mit Eurer Jugend und Schönheit mehr als geeignet erscheint. Aber schließlich zählen Eure Mutter und vor allem auch Euer Verlobter zu den letzten Gönnern des Tempels. Kein Priester setzt dies leichtfertig aufs Spiel. Warum wollt Ihr diese Hochzeit überhaupt verhindert? Der Beseelte Kirai ist ein ausgesprochen integerer Mann, galant, klug, mit guten Umgangsformen. Und er ist einer der wenigen, der tatsächlich noch vom Geist der Alten beseelt scheint, ihrem Tatendrang und ihrem Wissensdurst. Dies kann man vom Großteil der jungen Männer im Palastbezirk nicht behaupten. Die sind eher beseelt vom Wein, von reichlichem Essen und viel freier Zeit. Ihr solltet Euch glücklich schätzen“, antwortete der
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