Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
Person, ein Kind, noch dazu eines, dessen geistige Fähigkeiten nicht annähernd an die von Sleem heranreichten, steht doch nun wirklich nicht im Fokus irgendwelcher Intrigen. Sleem hielt diese Vorsichtsmaßnahme für übertrieben, ändern konnte er sie jedoch nicht. Ohne das unsägliche Dienstmädchen hätte er sich wohl problemlos an der Wache vorbeischleichen können, sie hätte nicht einmal einen Lufthauch bemerkt. Doch so hörte der Mann bereits von Weitem Sleems Schritte, blickten ihm fragend entgegen.
„Keinerlei besondere Vorkommnisse, Meister Sleem“, meldete die Wache pflichtbewusst, „Euer Neffe schläft tief und fest“
„Ich werde dennoch kurz nach ihm sehen“, entgegnete Sleem.
„Wie Ihr wünscht“, antwortete die Wache und trat zur Seite.
Sleem quetschte sich an dem Mann vorbei ins Zimmer. Weit kam er jedoch nicht, bevor er über irgendetwas am Boden stolperte und beinahe zu Boden ging. Sleem fluchte leise. Unvermittelt und etwas verschlafen schnellte der Kopf seines Neffen vom Kissen hoch. Er rieb sich kurz die Augen.
„Onkel Sleem?“, fragte der Junge.
Hinter Sleem lugte der Wachmann kurz durch die Tür, starrte eine Weile und – als er keine Bedrohung für den Jungen sah – verschwand er wieder. Sleem rang immer noch um sein Gleichgewicht, konzentrierte sich auf seinen nächsten Schritt. Erst als ihm dieser geglückt war, antwortete er.
„Schlaf weiter, sonst gibt es morgen keine Geschenke“, sagte Sleem.
„Opa hat mir ein neues Buch versprochen, eines von den Alten“, sagte der Junge begeistert, „Was bekomme ich von dir, Onkel Sleem?“
Sleem musste innerlich lachen. Ein Buch der Alten, das sah seinem Vater ähnlich. Sein Vater glaubte tatsächlich, er könne aus dem Jungen einen gebildeten Menschen machen. Aber aus einem Brocken gewöhnlichen Felsens würde niemals ein Diamant, so sehr man ihn auch schliff. An Sleems herausragende Fähigkeiten würde der kleine, ungezogene Hosenscheißer nicht heranreichen, so viele Bücher der Alten er auch geschenkt bekam. Sleem kannte sich mit den Alten aus, hatte ihre Sprache gemeistert, als er noch Housts Schüler war. Sein Neffe plapperte bisher doch nur nach, was ihm andere vorsagten.
„Wenn du nicht gleich wieder einschläfst, bekommst du gar nichts zu deinem Geburtstag“, sagte Sleem schließlich.
Widererwarten gehorchte der Junge, sank zurück auf das Kopfkissen und schloss die Augen. Wenige Augenblicke später schlummerte er fest. Sleem platzierte das Artefakt der Alten und den kleinen Brief auf der Bettdecke, so wie es Kirai ihn geheißen hatte. Wehmütig zucken seine Finger noch einmal zu dem kleinen Gerät. Ein wertvolles Geschenk und ein kluger Schachzug, fand Sleem. Sicher würde diese Geste ihre Wirkung bei seinem Vater nicht verfehlen. Zwar konnte Sleem es nicht nachvollziehen, doch der Junge war nun einmal Kolats Liebling. Ein weiterer Schritt für Kirai zum Großwesir und ein weiterer Schritt für Sleem zu noch größerem Ansehen. Schließlich würde sich Kirai daran erinnern, wessen außerordentlichen Taten er seine Position zu verdanken hatte.
***
Nomo rutsche auf Knien durch die Küche und schrubbte den Boden. Inzwischen mochte sie ihre Ausflüge zu den Bediensteten nicht mehr missen, sie hatte es sogar zu einer regelmäßigen Routine gemacht. Nicht unbedingt, weil ihr die Arbeit sonderlich viel Spaß machte – viele der Aufgaben hasste sie sogar –, sondern weil sie so Zugang zum Tratsch und Klatsch bekam. Die meisten Beseelten hatten offensichtlich gar keine Ahnung, wie viel Informationen sie dem Hauspersonal preisgaben. Informationen sind das Gold eines jeden Spions, pflegte Hem zu sagen. Jetzt wo Nomo die Bediensteten als wertvolle Quelle erkannt hatte, nutzte sie sie auch. Mittlerweile wusste Nomo bereits, zu welchen Zeiten sie an welchem Ort sein musste, um möglichst viele schwatzende Hausmädchen, Stallburschen oder Diener anzutreffen. Die Küche erwies sich kurz nach dem Frühstück als besonders geeignet. Unmengen Geschirr und Töpfe warteten darauf, gereinigt zu werden und auch die Küche selbst überließen die Köche nun den Putzhilfen. Zudem standen hier die Reste der Frühstückstafel für die Bediensteten bereit. Auch heute dauerte es nicht lang, bis Nomo die ersten Gesprächsfetzen aufschnappte. So unterhielten sich zwei Zimmermädchen über Kolats Enkel. Der Junge, gerade einmal sieben oder acht Jahre alt, war Kolats ganzer Stolz. Zumal er bereits jetzt mehr Potential versprach, als Sleem,
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