Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
bei klarem Verstand“, entgegnete Esrin.
„Na ja, bei Eurem Verstand war ich mir nie so sicher. Warum fragt Ihr die Maschine eigentlich nicht selbst. Ihr brabbelt doch die halbe Nacht in der Sprache der Alten. Ihr sprecht sie besser, als ich es wohl jemals erlernen könnte“, sagte Houst.
„Beunruhigend, nicht wahr? Viele Texte und Artefakte der Alten wanderten in meinem bisherigen Leben durch meine Finger. Allein, genau angesehen habe ich mir nichts davon. Sie landeten allesamt für klingende Münze auf den Tischen im Palast, viele sicher auch auf einem der Euren. Wozu sonst hätte mich dieser uralte Kram auch interessieren sollen? Und nun, innerhalb weniger Tage, wabern plötzlich Worte der Alten durch meinen Kopf und aus meinem Mund, sehe ich Bilder und Baupläne von Maschinen, höre Stimmen. Die Krux, ich verstehe ihren Sinn nicht. Sonst würde ich wohl auch kaum noch hier festsitzen. Es sind nicht meine Gedanken. Manchmal rede ich mir ein, Tessi könnte sich in mich verliebt haben und dies ist ihr Weg, es mir zu zeigen. Sie war von Anfang an ausgesprochen fürsorglich. Das sind Frauen immer, bis man sich auf sie einlässt. Im Grunde weiß ich jedoch, dass ich wahnsinnig werde“, erklärte Esrin.
Nicht eben die Antwort die Houst von Esrin erhofft hatte. Der ehemalige Krüppel wurde tatsächlich von Tag zu Tag wunderlicher. Nachts fantasierte er für Stunden und selbst wenn er wach war, konnte ihn Houst bisweilen minutenlang nicht ansprechen. Er schien dann komplett weggetreten zu sein. Houst ging zu Tessi, die gerade regungslos am Fußende seines Bettes stand, inspizierte sie eingehend. Sie schaltete sich nur zu bestimmten Zeiten ein, zeigte dann das Frauengesicht auf der leuchtenden Scheibe, gab – mal für Esrin, ein andermal für Houst – Anweisungen, führte irgendwelche Untersuchungen an einem der beiden durch, oder holte diesen undefinierbaren Brei, den sie zu essen bekamen. Vor zwei Tagen hatte Esrin dabei versucht, mit ihr gemeinsam durch die Tür zu schlüpfen, aber die Maschine wartete einfach vor der geschlossenen Tür, bis Esrin in seinem Bett lag. Die Geduld einer Maschine ist sicher größer als die eines Menschen, das hatte auch Esrin schnell eingesehen. Wohl auch, weil er Hunger hatte.
„Sie wird über ein Programm im Zentralcomputer gesteuert“, sagte Esrin in der Sprache der Alten.
Dabei vermittelte er wieder diesen abwesenden Eindruck, seine Augen flimmerten seltsam.
„Medizinischer Roboter Eiko 3, kann eine Krankenschwester vollständig ersetzen. Lässt sich ebenso zur Physiotherapie und Rehabilitation einsetzen. Ersetzt mittlerweile in fast allen Krankenhäusern das alte Modell Eiko 1, bei dem es manchmal noch zu kleineren Ausfällen kam. Bei Eiko 3 wurde auch die Steuersoftware wesentlich verbessert. Eiko 3 kann in begrenztem Umfang sogar schon eigene Entscheidungen treffen“, referierte Esrin weiter und trat ebenfalls an die Maschine heran.
Houst ging vorsichtshalber zwei Schritte zur Seite und beobachtete die Szene mit einigem Erstaunen. Von Esrins Worten verstand er lediglich Bruchstücke. Esrin tippte unterdessen die Scheibe an. Sie leuchtete auf, zeigte jedoch nicht das übliche Gesicht, sondern bunte Symbole. Die Symbole änderten sich mit jedem neuen Fingerzeig, den Esrin unternahm. Houst hielt beinahe den Atem an, traute sich nicht, Esrin zu fragen, was er da eigentlich tat. Er beobachte jede Bewegung genau, sicher würde sich der ehemalige Krüppel später wieder nicht mehr daran erinnern. Ein leises Surren riss Houst aus seiner Konzentration. Die Tür stand offen.
Hochzeit
Gefangen in einer Stadt aus Stein, so empfand es zumindest Zemal. Er sehnte sich schon beinahe nach der Weite der Einöde. Dabei lebten sie erst seit zwei Tagen hier. Ein Ort mit derart vielen Menschen erinnerte ihn an die Alten, oder besser die Alten in seinem Kopf drängten ihm diese Erinnerungen auf. Immerhin gab es in den letzten Tagen lediglich einen Vorfall, in dem sich Zemal in diesen Erinnerungen verloren hatte. Dank Mo nur ein kurzer Ausflug. Zemal konzentrierte sich permanent auf sich selbst, denn bereits der kleinste Moment der Unachtsamkeit reichte aus, damit sich die Gedanken der Alten in sein Bewusstsein schlichen. Bisweilen standen ihm vor Anstrengung Schweißperlen auf der Stirn. Vielleicht, so hoffte Zemal, gerieten auch die Erinnerungen der Alten mit der Zeit in Vergessenheit. Derzeit waberten sie jedoch noch so stark und deutlich, wie nie zuvor durch seinen
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