Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
das Amt des Großwesirs tatsächlich die richtige Aufgabe für mich ist. Schließlich hätte ich dann noch weniger Zeit für Euch“, sagte Kirai.
Königin Isi wandte sich zu Kirai um und starrte ihm für eine Weile in die Augen. Er hielt ihrem Blick stand.
„Lässt etwa Euer Ehrgeiz nach? Sollte ich mich derart in Euch getäuscht haben? Nein, Ihr spielt mit mir, testet mich. Ihr kennt doch meinen Ruf. Ich habe Euch nicht am Hofe lanciert, damit Ihr jetzt meine Pläne durchkreuzt. Dieser Eigensinn steht Euch nicht gut. Die Hochzeit mit der Prinzessin kann ich verschmerzen, solltet Ihr aber das Amt des Großwesirs ausschlagen – aus welchen Gründen auch immer – werdet Ihr zukünftig gemeinsam mit Eurer Braut den Boden in der Küche schrubben. Ich habe in den letzten Wochen ausreichend Geduld mit Euch bewiesen. Es ist an der Zeit, dass Ihr mein Vertrauen in Euch wieder rechtfertigt“, warnte Königin Isi.
„Es war lediglich ein Gedanke. Wie ich bereits bemerkte, bin ich noch ganz Euer Diener. Euer Zorn ist nicht gerechtfertigt“, widersprach Kirai.
Dann erhob er sich und verließ – nach einer kurzen Verbeugung – ohne ein weiteres Wort die kleine Laube. Königin Isi sah ihm nach. Ihre Stirn lag in Falten, den Mund kniff sie zusammen.
***
Verstörend, das beschrieb das Verhalten der beiden Verdammten noch am besten. Ein Mann, der plötzlich in der Sprache der Alten redete und eine Frau, deren Augen glühten. Für mehr als eine halbe Stunde hatten sie nicht auf ihre Umwelt reagiert, nicht auf Nomos Worte, nicht einmal auf Berührungen. Ob es am Leben in der Einöde lag? Darüber zerbrach sich Nomo seit ihrer Begegnung mit den Verdammten ihren den Kopf.
„Was ist das? Meine über alles geliebte Tochter schweift durch die Gänge und übersieht dabei sogar ihren Vater! Hem, gehört es nicht zu Eurer Ausbildung, ihr ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit beizubringen?“, sprach sie der König an, der ihr eben zusammen mit Hem im Gang entgegen schlenderte, „Was beschäftigt dich derart, dass du die Welt um dich herum vergisst?“
„Die Verdammten, weißt du wie sie aussehen, Vater? Oder Ihr, Hem?“, fragte Nomo.
Die beiden Männer sahen Nomo eine Weile mit großen Augen an. Sie konnten wohl nicht entscheiden, ob die Frage ernst gemeint war, oder Nomo sie in einen perfiden Scherz auf ihre Kosten locken wollte.
„Jeder kennt die Geschichten über die Verdammten. Aber es sind Legenden, oft auch Schauermärchen, die man ungezogenen Kindern erzählt. Da ist von halb verdorrten Gestalten die Rede – schließlich gibt es in der Einöde kein Wasser – und na ja, lassen wir das … Ich denke, die eine oder andere dieser Geschichten musste ich dir auch erzählen. Doch mir ist bisher noch nie ein Verdammter begegnet, und auch keiner, der jemals einen gesehen hätte“, antwortete der König schließlich.
„Viele Legenden bergen auch einen Funken Wahrheit“, gab Hem zu bedenken.
„Verdorrt sind sie nicht, sie fassen sich an, wie normale Menschen“, sagte Nomo.
Der König lachte auf, Hem machte ein erstes, misstrauisches Gesicht.
„Ha, ich wusste, du willst uns auf den Arm nehmen“, sagte der König, „Woher hast du diese Erkenntnis? Sag nicht, du hättest sie bei deinem kurzen Ausflug in die Einöde gesehen“
„Ihr meint es ernst, Prinzessin“, mischte sich Hem ein, „Eure Ausbildung macht tatsächlich erstaunlich schnelle Fortschritte. Einer meiner Kontakte in der Stadt berichtete mir bereits von einer Karawane, die angeblich zusammen mit einigen Verdammten aus der Einöde zurückgekehrt sei. Ich frage mich, was diese Karawane überhaupt in der Einöde suchte. Die Antwort auf diese Frage kennt Ihr, mein König, vielleicht besser als ich. Zumindest konnte mein Kontakt die Verdammten nicht ausfindig machen. Laut dem Karawanenführer seien sie einfach verschwunden. Sind sie das, Prinzessin?“
„Warum werde ich derart spät über solche Neuigkeiten informiert?“, beschwerte sich der König, „Diese Karawane sollte meinen Bruder sicher durch die Einöde geleiten. Da Ihr es ohnehin schon wisst, brauche ich ja kein Geheimnis mehr daraus zu machen. Ihr werdet diesen Karawanenführer unverzüglich zu mir bringen. Und du meine Tochter, was weißt du darüber?“
„Von der Karawane weiß ich nichts, doch ich habe die Verdammten getroffen. Sie ersuchen eine Audienz, bitten um ein Zelt und dass wir unser Wasser mit ihnen teilen. Soweit ich es verstehe, wollen sie hier bleiben“, antwortete
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