Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
Die Zukunft stand ihm offen, er würde sie beim Schopfe fassen, noch heute. Denn wie es das Schicksal wollte, stand just ein Botengang zu Kirai an.
***
„Nomo, du benimmst dich wie ein kleines Kind!“, rief Lebell durch die Tür, „Ich werde das nicht akzeptieren. Wenn du die Tür nicht sofort öffnest, lasse ich sie von den Wachen aufbrechen“
Lebell wartete eine Weile, gab den beiden Wachen dann ein Zeichen. Als diese bereits Anlauf genommen hatten, klackte leise das Türschloss. Lebell hob die Hand – die Wachen mögen warten –, atmete dann einmal tief durch und trat ins Zimmer ihrer Tochter. Nomo saß zusammengesunken auf dem Bett.
„Langsam solltest du zur Vernunft kommen, Kind. Du machst uns ja bereits zum Gespött des ganzen Hofes. Eine Prinzessin, die sich heimlich unter die Bediensteten mischt, um sie zu belauschen. Ich schäme mich für dich! Es bleibt dabei, du wirst nicht länger von Hem unterrichtet. Und wenn ich dich dazu in diesem Haus einsperren muss. Dein Verhalten gefährdet das Ansehen deines zukünftigen Mannes. Kirai ist darüber nicht erfreut. Er wartet unten im Salon und möchte mit dir sprechen“, sagte Lebell.
„Ich will nicht mit ihm sprechen. Ich will mit überhaupt niemandem mehr sprechen! Geh weg“, entgegnete Nomo.
Lebell ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
„Pelli! Pelli, wo steckst du?“, rief sie nach draußen.
Das Geräusch hastiger Schritte erklang aus dem Gang und wurde schnell lauter.
„Lady Lebell“, grüßte Pelli ziemlich außer Atem, vollführte aber dennoch einen tiefen Knicks.
„Sorge dafür, dass meine Tochter in einer Viertelstunde im Salon erscheint. Angezogen oder im Nachthemd, das ist mir egal!“, forderte Lebell und entschwand dann aus dem Zimmer.
Tatsächlich tauchte Nomo wenig später begleitet von Pelli und den beiden Wachen im Salon auf. Sie trug das Kleid, das ihr Kex bei ihrem letzten Besuch in der Stadt geschenkt hatte. Eigentlich konnte man es gar nicht als Kleid bezeichnen, denn es reichte ihr nicht einmal bis zu den Knien, der Rücken war komplett frei und der Ausschnitt zog sich beinahe bis zum Bauchnabel. Alles in allem ein mehr als provokantes Outfit, nicht einmal Königin Isi würde es tragen. Bei ihrer Mutter verfehlte das Kleid seine Wirkung nicht, ihre Miene verfinsterte sich deutlich sichtbar. Kirai aber schien der Anblick sogar zu gefallen. Er hob nur kurz die Augenbrauen und lächelte dann. Nomo schritt betont langsam durch den Salon. Dabei reckte sie den Kopf verächtlich in die Höhe, rümpfte leicht die Nase und vermied jeden Augenkontakt mit den Anwesenden.
„Ich muss mich wohl schon wieder für meine Tochter entschuldigen, Beseelter Kirai“, sagte Lebell, „Dieses Auftreten geziemt sich einfach nicht für eine Prinzessin. Den Schneider, der ihr diesen Fetzen genäht hat, werde ich in die Grube werfen lassen“
„Es ist ein Kleid aus einer Stadt der Alten, von jenseits der Einöde. Es geziemt sich sehr wohl für mich!“, entgegnete Nomo schnippisch.
„Es steht Euch ausgezeichnet“, mischte sich Kirai ein, „Es unterstreicht Eure Einzigartigkeit“
Er meinte dieses Kompliment tatsächlich ernst. Nomo bereute es, das Kleid angezogen zu haben. Pelli hatte sie gewarnt. Nur wenige Männer verstanden etwas von Mode, Kirai war keiner von ihnen. Ihn würde es nicht stören.
„Es wird sie noch mehr ins Gerede bringen. Schon jetzt zerreißen sich die Damen am Hof die Mäuler“, widersprach Lebell.
„Hier sind wir unter uns“, beruhigte Kirai.
Er verteidigte sie, irgendetwas stimmte nicht. Was hatte Kirai vor? Nomos Gedanken überschlugen sich. Kostete er auf diese perfide Weise seinen Sieg aus, sie zukünftig von Hem fernzuhalten? Sie des Freiraums beraubt zu haben, den sie für ihren Plan benötigte? Ohne den Vorwand von Hems Lehrstunden konnte sie den Augen ihrer Leibwachen kaum entfliehen, geschweige denn den Palastbezirk verlassen.
„Nun, wenn Ihr sie unbedingt in Schutz nehmen mögt“, beschwerte sich Lebell über die mangelnde Unterstützung, „Es wird Zeit, dass ich sie in Eure Hände gebe. Habt Ihr bereits eine genauere Vorstellung von einem Hochzeitstermin?“
„Ich werde nicht heiraten!“, sagte Nomo.
„Oh doch, das wirst du!“, entgegnete Lebell.
Kirai verschränkte die Arme, lächelte süffisant und beobachtete den Streit der zwei Frauen. Er war sich seiner Sache offenbar sehr sicher.
„Da müssten erst die Alten zurückkehren“, fauchte Nomo, „Ich lasse mich nicht
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