Die Legende der Dunkelheit: Thriller
Kassette. Sie war fünfundvierzig Zentimeter breit, lang und hoch, metallgrau, und auf dem Deckel stand nur ein Name: Zheng He . Rasch entriegelte Michael das Schloss und schaute hinein.
»Wir müssen hier raus«, rief Jon, der bereits am Ausgang stand.
Ohne dass irgendjemand ihn dabei sehen konnte, zog Michael etwas aus der Kassette heraus und steckte es in seine Tasche. Dann schloss er die Kassette wieder und gab sie Busch, der sie in den Rucksack steckte, den er auf dem Rücken trug.
Und dann machten sie sich auf.
»Kein Wort, und wir lassen ihn in zwei Stunden frei«, schrie Jon, als sie an Schavilia vorbeirannten. »Wenn Sie vorher irgendjemanden alarmieren, ist er tot, noch bevor Ihre Schicht zu Ende ist.«
Busch hielt den anderen die Tür auf, als sie wieder in den Fahrstuhlschacht kletterten. Dann ließ er die Tür hinter sich zugleiten und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Zweieinhalb Minuten waren vergangen.
Jeder von ihnen schnappte sich ein Seil und begann zu klettern.
Brad und Lao checkten U-4, denn Brad konnte mit seinem Generalschlüssel sämtliche Schlösser öffnen. Peter Huang, fünfzig Jahre alt, gebrechlich und mit einer Hornbrille, erwartete sie auf dem Flur und begleitete sie in den Arbeitsbereich.
»Ist das eine Übung, oder ist es ernst?«, fragte Peter.
»Soweit es mich betrifft, ist es immer ernst. Nichts Ungewöhnliches passiert heute Nacht?«
Peter schüttelte den Kopf und wies auf seine Angestellten. »Alle waren pünktlich, es gab keine Beschwerden.«
Alles war ruhig, jeder war an seinem Platz. Das zehnköpfige Team bediente eine Reihe von Maschinen, die Geld zählten und bündelten, wobei jeder Dollar im System verbucht wurde, das im Gegensatz zum Video-Server perfekt funktionierte. Die Bündel mit Bargeld kamen dann in einen Speicher, in dem sie automatisch gestapelt und anschließend bis zum Morgen in einem Tresor gelagert wurden, der sich in der Etage unter ihnen befand. Auf der anderen Seite des Raums waren fünf Buchhalter in kurzärmeligen weißen Hemden intensiv mit Computerkonten und Tabellen beschäftigt und ebenso in ihre Arbeit vertieft wie die Kollegen, die das Bargeld zählten und bündelten. Niemand schaute auf, und niemand schien zu ahnen, wie ernst der Ausfall sämtlicher Kameras war.
Wie Brad vermutet hatte, gab es keine besonderen Vorkommnisse. Nur ein Idiot würde denken, das Venetian bestehlen zu können. »Danke.« Er nickte Peter zu und ging zurück in die Vorhalle.
Er überlegte, ob er gleich ganz nach unten, nach U-6 gehen sollte, doch anders als auf U-3, wo das Bargeld war, und auf U-4, wo die Chips aufbewahrt wurden, war dort nichts offen zugänglich; auf U-6 war alles hinter drei Meter dicken Sicherheitstüren aus Stahl, und nur Gott bekam die auf. Er konnte also weiter der Reihe nach vorgehen.
Er steckte den Generalschlüssel ins Schloss, öffnete die Tür, und er und Lao machten sich auf den Weg nach unten zu U-4.
Als sie U-5 erreichten, trat Michael auf den schmalen Rand des Etagenabsatzes und drehte sich zu Busch, der versuchte, wieder zu Atem zu kommen, nachdem er seinen großen schweren Körper die zwölf Meter nach oben gehievt hatte. Als Jon bei ihnen war und ebenfalls Halt suchte, fühlte Michael sich für einen Moment wie ein Vogel auf einem schmalen Ast, der jeden Moment brechen konnte, denn wenn man hier abrutschte, drohte ein tödlicher Sturz in die Finsternis.
Michael griff zu Busch hinüber, nach der Metallkassette in Buschs Rucksack, und zog sie heraus. Busch suchte einen besseren Stand auf der Kante des Fahrstuhlabsatzes und öffnete die Aufzugtür.
Als die Türen aufglitten, zog Jon seine Waffe aus dem Hosenbund und trat auf den Korridor.
Im Gegensatz zu Schavilia, der überrascht gewesen war, Jon zu sehen, erwartete Shi Shou Nu sie bereits, denn der hatte Stunden zuvor, bevor seine Mitternachtsschicht begonnen hatte, hoch und heilig versprochen, alles zu tun, was man von ihm verlangte.
Obwohl es die Achillesferse von jedem Vater und jeder Mutter war, hasste Jon es, Kinder zu bedrohen, und wusste, dass er die Drohung, ein sechsjähriges Mädchen zu töten, niemals wahrmachen konnte. Doch die Männer, die das Kind jetzt in einem Keller in den Slums von Macao gefangen hielten, waren nicht so zart besaitet.
Man hatte sie mit vorgehaltener Waffe aus ihrem Bettchen entführt, genau in dem Moment, als ihr Vater zur Arbeit gehen wollte, um seine Nachtschicht anzutreten. Jons Anweisungen waren einfach und präzise: Wenn du
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