Die Legende der Dunkelheit: Thriller
zusammenbleiben konnten und ihnen die Unterbringung in einem Heim erspart bliebe. Das hatte nicht nur ihren Charakter gestählt, sondern auch ihr Herz.
Aber dann war sie Michael begegnet: einem Mann mit einer Vergangenheit, einem Mann, der sie verstand. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Herz überhaupt zu solchen Empfindungen fähig war, dass es höher schlug oder einen Schlag aussetzte, wenn sie ihn sah.
Sie hatte eigentlich gedacht, ihre Beziehung sei inzwischen einen entscheidenden Schritt weiter, dass sie heiraten und über Kinder sprechen würden, aber Michael war noch nicht so weit. Auch wenn sie nie daran zweifelte, dass er sie liebte, wusste sie, dass die Erinnerung an seine Ehefrau immer noch in seinem Herzen brannte. Das konnte sie ihm verzeihen, doch sie selbst konnte sich den Schmerz über einen solchen Verlust nicht vorstellen.
Aber dass er sie angelogen, sein Versprechen gebrochen – dass er sie hintergangen hatte, verletzte sie maßlos. Sie brauchte Abstand und hatte ihre Beziehung aus einem objektiveren Blickwinkel betrachtet, und dadurch war ihr klar geworden, dass sie gehen musste. Sie musste herausfinden, ob die Liebe sie blind gemacht hatte und ob sie sich selbst etwas vormachte, wenn sie sich sagte, ihre Beziehung könne von Dauer sein.
Sie ging nicht nur, um Abstand zu bekommen, sondern auch, um einen Blick auf sich selbst zu werfen. Sie hatte seit vierzehn Monaten nicht mehr gearbeitet, ihr früheres Leben völlig aufgegeben. Sie brauchte wieder einen klaren Kopf, um eine Entscheidung zu treffen, und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, wenn sie den lieben langen Tag nur bequem in Michaels Haus herumhockte.
Sie war froh, dass sie noch einen Platz für den Flug um 22.00 Uhr bekommen hatte; morgen früh gäbe es einen Direktflug, aber so lange konnte sie nicht warten.
Und was alles noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass er nicht angerufen hatte. Sie gab zwar zu, dass sie sehr wahrscheinlich nicht ans Telefon gegangen wäre, aber er hätte es ja wenigstens versuchen können …
Kapitel 3
S o schnell er konnte, rannte Michael über die Park Avenue. Bremsen quietschten, Reifen schlitterten über den Asphalt, und Autohupen dröhnten, doch er rannte weiter, durch den Nachmittagsverkehr. Zur Abwechslung jagte Michael einmal jemanden und war nicht selbst der Gejagte. Der Dreckskerl war ungefähr zehn Meter vor ihm und lief so schnell, dass er damit die Menschenmassen auf dem Bürgersteig teilte wie Moses das Tote Meer.
Michael hatte der dunkelhaarigen Frau die Tür aufgehalten, und sie hatten einander angelächelt und sich zugenickt, als sie auf die Forty-Ninth Street getreten war. Er hatte keine Ahnung, wer sie war, und es spielte auch keine Rolle. Es gab einfach Dinge, die er nicht zulassen konnte.
Sie waren bereits an der Ecke Fiftieth Street und Park Avenue, rannten durch die Schluchten der Stadt, deren gläserne Wolkenkratzer den blauen Himmel kitzelten. Der Dreckskerl sah eigentlich gar nicht aus wie ein typischer Dreckskerl. Vom Äußeren her wirkte er weder wie ein verzweifelter Junkie noch wie ein Halbstarker, der Geld brauchte, um sich neue Turnschuhe zu kaufen. Er rannte so zielstrebig, als wäre das hier ein Wettrennen, als wäre er fünf Minuten zu spät dran bei seiner eigenen Hochzeit. Er war dünn und hatte breite Schultern. Seine dichten schwarzen Haare fielen ihm bis kurz über den Kragen, er trug Jeans und ein kurzärmeliges Shirt von J. Crew, sodass er alles Mögliche hätte sein können, aber nicht ein gewöhnlicher Dieb.
Der Typ war flott, aber Michael holte immer mehr auf. Jetzt waren nur noch zwei Wagenlängen zwischen ihnen. Immer wieder rannten sie auf die Straße zwischen die Autos und wieder zurück auf den Gehsteig, was jedes Mal von einem Konzert kreischender Hupen und quietschender Autoreifen begleitet wurde.
Plötzlich stand dem Jungen ein schwarzer Lincoln Town Car im Weg. Ohne zu zögern, sprang er auf die Motorhaube, schwang sich darüber und rutschte mit dem Hintern über den Lack, als würde er über Eis gleiten, landete auf der anderen Seite auf dem Bürgersteig und rannte sofort weiter.
Michael traute seinen Augen nicht, weil die Passanten alle nur dastanden und glotzten, keiner wollte sich einmischen.
Wie ein Hürdenläufer sprang Michael über ein mit einer Kette gesichertes Fahrrad, spurtete über die Motorhauben und Dächer von drei Autos … und hechtete im Sturzflug auf den Jungen.
Mit einem einzigen Griff, der ihm alle Knochen
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