Die Legende der Dunkelheit: Thriller
würde.«
Das leuchtete Michael ein, und er nickte. Außerdem ging ihm auf, dass sich dieser Mann auch ohne Uniform sehr gut darauf verstand, die Menschen nervös zu machen. Er reiste allein, was selten war in dieser Zeit, da Unternehmensbosse nur noch gruppenweise auftraten, und noch seltener gab es so etwas in der straff organisierten Hierarchie des Militärs. Doch hier war kein Attaché, kein Lieutenant, der die Türen aufhielt, Notizen machte oder herumtelefonierte, um Sushi anliefern zu lassen. Dieser Mann hier war ein Einzelgänger – das konnte Michael in seinen tiefbraunen Augen lesen, in diesen Augen, die leicht asiatisch wirkten, was man durch den starken europäischen Einschlag aber kaum sah.
Wer dieser Mann war, stand für Michael außer Frage. Es war dunkel gewesen. Sein Gesicht hatte Michael nie gesehen, aber er erkannte die Stimme wieder, die Körpersprache, die Art, wie er sich benahm.
Michael war allerdings auch überzeugt, dass niemand ihn gesehen hatte, weder dieser Mann noch sonst jemand auf dem Schiff. Lucas war der einzige Überlebende gewesen und hatte nicht mitbekommen, dass Michael mitangesehen hatte, wie er seine toten Kameraden von der Jacht trug. Andererseits war die Möglichkeit, dass dieses Treffen … es war kein Zufall.
Er musste hier raus.
»Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass ich in die engere Wahl gekommen bin, aber mein Terminkalender ist sowieso schon übervoll.«
»Ihre Regierung braucht Ihre Hilfe.« Lucas blitzte Michael wütend an, als würde er ihm hier einen Befehl erteilen.
Michael konnte nicht fassen, was Lucas da jetzt gerade von sich gegeben hatte: »Uncle Sam braucht dich« – als könnte sein Patriotismus ihn zum Handeln zwingen. Auf seine ganz eigene Art liebte Michael sein Land, und zwar genauso, wie Leute an Gott glaubten und an ein Leben nach dem Tod.
»Ich unterstütze unsere Regierung, indem ich meine Steuern zahle. Viel zu viel Steuern, muss ich hinzufügen.« Michaels Scherz stieß auf taube Ohren. »Sie sollten sich mit dem Nächsten in Verbindung setzen, der auf Ihrer Liste steht.«
»Sie sind der Einzige auf unserer Liste, und ich muss darauf bestehen, dass Sie uns helfen.« Lucas’ Ton wurde barsch und fordernd. Michael konnte spüren, dass dieser Mann es nicht gewöhnt war, ablehnende Antworten zu bekommen.
»Ich bedaure, Colonel. Haben Sie herzlichen Dank, dass Sie meine Firma in Betracht gezogen haben, aber Sie werden sich jemand anderen suchen müssen.« Bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös er war, erhob Michael sich von seinem Stuhl. Er schüttelte dem Colonel die Hand. »Ich muss jetzt wirklich gehen, ich habe zu Hause ein paar Probleme, mit denen ich mich befassen muss.«
Michael lief aus der Stunden-Vorstandsetage hinaus und zwang sich, seine Wut im Zaum zu halten. Bei den Forderungen und Aufgaben des Colonels handelte es sich zweifellos um Unternehmungen, aus denen sich die USA eigentlich hätten heraushalten sollen. Dieser Mann wusste zu viel über Michael: Er kannte dessen Leben, war über seine Aktivitäten außerhalb der Landesgrenzen der Vereinigten Staaten informiert. War das hier wirklich der Mann von der Jacht? Es war so dunkel gewesen, und er hatte eine Mütze aufgehabt, und Michael hatte sein Gesicht nie im Licht gesehen. Aber er hatte die gleiche Stimme, den gleichen Tonfall.
Michael beschloss, Simon anzurufen, um in Erfahrung zu bringen, ob der irgendetwas über Lucas wusste und ob sein Argwohn berechtigt war. Was, ging es Michael durch den Kopf, wenn Lucas die ganze Zeit gewusst hatte, wer er war, wenn er wusste, dass Michael auf der Jacht gewesen war, wenn er ihm nur etwas vorgemacht hatte, als er ihn nach seiner letzten Tätigkeit gefragt hatte?
Michael zog sein Telefon aus der Jacketttasche und sah, dass in der Zwischenzeit niemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Unwillkürlich musste er an KC denken, und er fragte sich, ob sie ihre Drohung wohl wahrmachen, ob sie ihn wirklich verlassen würde. Er schaute auf seine Armbanduhr, erwog, wieder den Zug zu nehmen, doch vielleicht war es besser, einen Fahrdienst anzurufen. Dann würde er nach Hause kommen, bevor sie ging, und er könnte alles wieder in Ordnung bringen, ganz egal, was dazu nötig war.
Michael ging zum Fahrstuhl und drückte den Abwärtsknopf. Er hörte, wie die Kabine von oben herunterfuhr, und hoffte, dass sie da wäre, bevor der Colonel aus dem hinter ihm liegenden Büro trat – der Colonel war der letzte Mensch, mit dem Michael im
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