Die Legende der Dunkelheit: Thriller
seinem Hirn herrschte ein einziges Wirrwarr. Es gab nur drei Menschen auf der Welt, die wirklich über jedes einzelne Ding Bescheid wussten, das er gedreht hatte: Busch, Simon und KC.
Busch war sein bester Freund, Simon würde keiner Menschenseele je ein Wort verraten, und obwohl es mit ihrer Beziehung im Moment nicht zum Besten stand, wusste Michael, dass auch KC niemals ausplaudern würde, was er in der Vergangenheit angestellt hatte. Seine Verwirrung und seine Panik wurden immer größer, während der Mann, der da vor ihm saß, weiter- und weiterlas, schließlich die letzte Akte schloss und sie effektvoll auf den Stapel mit den anderen legte.
»So, Michael«, sagte der Mann mit einem Gesichtsausdruck, der keinerlei Regung zeigte, wenn man von dem leicht martialischen Triumph absah, der in seinen Augen flackerte. »Wo waren wir heute Nachmittag stehen geblieben?«
Michael starrte Colonel Lucas, der immer noch seinen dunklen Anzug trug, einfach nur an.
»Waren Sie schon mal in Macao?«
KC ging durch Terminal A des Kennedy Airports, und ihr blondes Haar und ihre schlanken Beine erregten die Aufmerksamkeit eines jeden, an dem sie vorbeiging. Mit ihrer Größe von knapp eins achtzig sah KC aus wie ein Model, und sie hatte das natürliche Selbstvertrauen, das so vielen Frauen fehlte. Egal, wo sie auftauchte: Sie strahlte Charisma aus, und das hatte sich in ihrem früheren Leben zuweilen als hinderlich erwiesen, weil es damals für den Erfolg unerlässlich gewesen war, unsichtbar zu bleiben und jederzeit zu verschwinden.
KCs früheres Leben hatte nur einen einzigen Zweck verfolgt: ihre Schwester Cynthia zu versorgen. Seit dem Tod ihrer Mutter war KC dafür verantwortlich gewesen, sie großzuziehen, obwohl sie damals selbst noch ein Kind war. KC hatte ihrer Schwester ethische Maßstäbe vermittelt, ihr ein natürliches Empfinden für Recht und Unrecht beigebracht, indem sie ihr vor Augen führte, was für Konsequenzen ein unehrenhaftes Leben haben konnte, anhand von Beispielen, die ihr abwesender Vater geliefert hatte, ein Mann, dessen Verbrechen von Erpressung über Diebstahl bis hin zu vorsätzlichem Mord reichten, ein Vater, den die Finsternis des eigenen Herzens am Ende verzehrt hatte.
Was KC geleistet hatte, indem sie ihre Schwester großgezogen und nach Harvard und Oxford geschickt und ihr ermöglicht hatte, in London ihre eigene Consultingfirma zu gründen, war nicht nur bewundernswert – es war zum größten Teil auch illegal. Dass sie sich das Geld für die Ausbildung und das Studium ihrer Schwester auf alles andere als legale Weise beschafft hatte, war ein Geheimnis, das sie bis vor einem Jahr noch nie einem Menschen erzählt hatte.
Obwohl KC und Cynthia ihren Vater wegen seiner kriminellen Lebensführung hassten, hatte KC schon früh gewusst, dass sie in seine Fußstapfen getreten war. Sie hatte sich aufs Stehlen verlegt, um ihrer Schwester zu helfen, und war von einem Mann unter die Fittiche genommen worden, der ihr ein Wissen vermittelte, das man sich weder aus Büchern aneignen konnte noch in der Schule vermittelt bekam. Iblis brachte ihr bei, wie man Schlösser knackte, an welche Hehler man gestohlene Kunstwerke verscherbelte, wo und wie man die finanziellen Früchte seiner Arbeit versteckte. Er lehrte sie, wie man eine Pistole und ein Messer benutzte, obwohl sie das gar nicht lernen wollte – und zum Glück hatte sie, was sie gelernt hatte, bisher noch nie anwenden müssen. Er wachte über KC wie Dickens’ Fagin, bis sie begriff, dass er besessen war von ihr und mehr von ihr wollte als Freundschaft.
Cynthia hatte nichts über KCs »Beruf« gewusst und immer gedacht, KC sei als Beraterin für die Europäische Union tätig. Sie hätte sich nie vorstellen können, dass KC genauso kriminell war wie ihr Vater, bis Iblis ihr aus Trotz, Wut und Eifersucht die Wahrheit gesagt hatte.
Als Cynthia erfuhr, dass KC eine Diebin war, drehte sie fast durch, sie hasste KC dafür, dass die sie hintergangen hatte, obwohl sie wusste, dass KC es nicht aus Habgier getan hatte, sondern aus Liebe zu ihr. Erst als sie dem Tod ins Auge sahen, versöhnten sie sich wieder und erkannten, dass sie trotz allem, was KC getan, und trotz allem, was Cynthia gesagt hatte, immer noch Schwestern waren und dass sie etwas miteinander verband, was nur Schwestern verstehen konnten.
Fast ein Jahr war vergangen, seit KC zum letzten Mal in London gewesen war, was zeigte, wie sehr sie sich mit Herz und Verstand auf Michael eingelassen
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