Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Schwung. Gleich hinter ihren traurigen Augen lauerte eine üble Geschichte. Es war bekannt, dass sie kürzlich Witwe geworden war, nachdem ihr Gatte in Villiren tot unter einem nackten, wenn auch leicht verlegenen Dienstmädchen gefunden worden war. Es sei eine Herzenssache gewesen, hieß es, oder eher eine Sache von Herzschwäche, doch trotz der Ironie hatte Lady Iora das Landgut ihres Mannes verkauft und beschlossen, sich vor der Winterstarre in einer der schönen alten Wohnungen in den höheren Lagen Villjamurs anzusiedeln.
Eir beobachtete mit wachsendem Argwohn, wie Randur die Hände der alternden Schönheit umfasste.
Er beugte sich zu ihr vor, als erzählte er ihr ungewöhnliche und private Dinge. Sie nickte, und beide standen auf, um unauffällig zu verschwinden.
Intuitiv beschloss Eir, ihnen zu folgen.
Mit schwarzem, eng um den Leib geschlungenem Umhang stand Jamur Eir vor Randurs Zimmer im Dunkeln. Eben erst hatte sie Lady Iora in derangiertem Gewand über den Flur verschwinden sehen.
Eir wusste nicht, warum sie blieb, als würde sie noch etwas erwarten; warum sie nicht schlief, wie fast alle anderen im Balmacara. Warum trieb sie, eine Prinzessin von Geblüt, sich vor dem Schlafgemach eines Inselburschen herum? Sie mochte ihn ja nicht einmal besonders. Sicher, er sah auf unbestimmt weibliche Weise gut aus, doch seine Arroganz ließ ihn eigentlich nicht attraktiv wirken: diese Art, über die Flure zu stolzieren (er ging nicht – er stolzierte), als gehörte ihm der Palast und als hätte er es verdient, darin zu leben!
Vielleicht interessierte Eir sich für sein Leben, denn immerhin hatte sie ihre ganze Kindheit wohlbehütet in diesem Palast verbracht, wo Wächter darauf achteten, dass niemand ihr wehtat. Das war alles schön und gut, mitunter aber auch langweilig. Sie erinnerte sich der Zeit, in der sie mit Rika auf diesen Fluren gespielt hatte, während ihre Eltern sich stritten. Sie hatte kaum etwas von den weit ausgreifenden Gebieten gesehen, über die ihre Familie herrschte. Unter der strengen Aufsicht ihrer Lehrer hatte sie sich langweilige alte Bauten ansehen müssen, aber kaum Gelegenheit gehabt, Männern zu begegnen, und wenn es doch geschah, waren die stets zu befangen, um mit ihr zu reden.
Dieser Randur hingegen war endlich einmal interessant . Dass sie von den Dienern gerüchtweise erfahren hatte, er steige nachts in die Höhlen hinunter, verstärkte diesen Eindruck nur. Was mochte er dort treiben? Aus unerklärlichem Grund wollte sie das herausfinden, doch es sah nicht danach aus, als würde in dieser Nacht noch etwas geschehen.
Kaum hatte sie das gedacht, ging die Tür auf, und Randur trat auf den Flur.
Sie folgte ihm über den Korridor, und ihre behutsamen Schritte glitten fast geräuschlos über die Fliesen. Wächter fragten, wohin sie unterwegs sei, doch sie belog sie alle und behauptete, gleich einen Nachtgardisten zu treffen. Für einen Ort, der als überaus sicher galt, war es bemerkenswert einfach, sich davonzustehlen.
Randur brauchte eine halbe Stunde bis zum ›Garudakopf‹. Wie fast immer stand die Tür offen, und ein Lichtschein fiel auf die Straße. Nur wenig Lärm drang heraus, doch Denlin saß mit einem dicken Mann zusammen, und im Schein der Laternen lagen mehrere Karten vor ihnen auf dem Tisch. Denlin sah Randur hereinkommen, blieb aber auf sein Spiel konzentriert.
Viele Menschen umstanden die beiden, und immer wieder hörte man sie zwischen lautem Gelächter etwas flüstern.
Der Dicke, gegen den Denlin spielte, trug eine verlotterte braune Tunika und stützte den Kopf in die Hände. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, während er mit leicht geöffnetem Mund auf die Karten starrte, als hätte er ein Messer in den Bauch gerammt bekommen.
»Welche soll es sein?«, fragte Denlin den Dicken.
Sein Gegner stieß einen Wurstfinger auf die mittlere Karte. Denlin drehte sie um, und die Umstehenden schnappten nach Luft. Der Drache bedeutete, dass Denlin gesiegt hatte.
Der Dicke starrte eine Zeit lang auf die Karte; die Zuschauer lachten beinahe verlegen und schienen damit zu verstehen zu geben, dass sie diesen Kerl schon oft viel Geld hatten verlieren sehen und dass dies möglicherweise sogar seine wöchentliche Gewohnheit war, ehe er ohne einen Pfennig in die tiefe Nacht verschwand. Der Dicke umklammerte die Tischkante und schüttelte den Kopf.
Denlin strich seinen Münzgewinn ein, sagte: »Gerne wieder«, nahm die Karten und verließ den Tisch.
»Du bist spät dran
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