Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
erforschen.«
Hunde zogen den Schlitten mit den vier Kultisten in die nächste Kleinstadt, die unter dem Wintereinbruch nicht allzu sehr gelitten hatte. Siedlungen an ungeschützten Hängen waren längst zugeschneit, da die Bevölkerung verschwunden war. Ganze Dörfer waren tot. Dartun hatte die Hunde mehrmals dort halten lassen, wo auf der Landkarte Städte verzeichnet waren, und missmutig aufgelacht, als er erkannte, dass sie unter Schnee begraben lagen.
Schließlich erreichten sie eine Siedlung im Schutz eines gewaltigen Felsvorsprungs, Bronjek vermutlich, doch der Ort wies kaum noch Ähnlichkeiten mit der betriebsamen Kleinstadt auf, von der Dartun einst gehört hatte. Die Hauptstraße war kaum mehr als ein Schlammpfad, den Tausende Füße zertrampelt und Räder und Hundeschlittenkufen zerfurcht hatten, und die Holz- und Metallschuppen zu beiden Seiten schienen sich nur noch mühsam gegenseitig zu stützen. Fensterläden versperrten den Blick in die Häuser, doch einige waren trotz der Kälte geöffnet – ein erster Hinweis darauf, dass die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten.
Das Schild an der Taverne meldete »Geöffnet«, doch niemand genoss die Gastlichkeit des Wirtshauses, denn es gab keine Gäste mehr, und die einst belebte Straße war nur noch ein Schatten ihrer selbst.
An den Wänden prangten dunkle Flecken, und es roch nach Urin und manch anderem. Dies und der Matsch ließen die Stadt wie einen grausigen Bauernhof stinken. Bei genauerem Hinschauen war Blut zu sehen, das in hohem Bogen auf Holz- und Metallbaracken gespritzt war. Welche Geschöpfe dieses Massaker auch angerichtet hatten: Sie waren erst kürzlich hier gewesen. Die überwältigende Stille und das Fehlen allen Lebens im Gitterwerk der Straßen wirkten unheimlich. Es schien tausend Verstecke für die Wesen zu geben, die die gesamte Stadt niedergemetzelt hatten.
Dartun ließ seine schweren Pelze auf dem Schlitten, um sich rasch bewegen zu können, und setzte die Untersuchung fort. Bald glaubte er etwas zu hören. »Bleibt zusammen!«, schärfte er den anderen ein, und sie drängten sich wie Kinder aneinander und umklammerten verschiedene Relikte, die einen Menschen augenblicklich töten konnten.
Ein gedämpftes tierisches Winseln.
Ein Luftschnappen hinter einem nahen Gebäude.
Dartun schritt über den glitschigen Boden und wollte ein Relikt aus der Tasche ziehen, begriff aber plötzlich, dass dies nicht nötig war.
Was von dem jungen Mädchen übrig war, lag nackt auf dem Boden. Ihre Eingeweide hingen aus dem aufgeschlitzten Bauch, und ein ausgehungerter Hund lungerte mit blutigem Maul in ihrer Nähe herum. Dartun wedelte mit den Armen, um das Tier zu vertreiben, das schließlich zwischen den Schuppen davontrottete und sich dabei immer wieder vorsichtig umsah.
Er kauerte sich neben die Tote: Mehrere Rippen lagen offen da, und die abgezogene Kopfhaut ließ ein Stück weiß glänzenden Schädel sehen. Mit der behandschuhten Rechten stupste er ihre Arme an, und sie plumpsten halb vom Rumpf getrennt beiseite. Irgendwer hatte offenbar versucht, sich ihrer Knochen zu bemächtigen, dann aber aufgegeben. Womit sie aufgeschlitzt worden war, ließ sich nicht sagen.
Haben Klauen das angerichtet? Aber warum wurde allein sie hier zurückgelassen?
Von hinten näherten sich leise Schritte durch den Schnee. Dann tauchte die weinende Verain auf, der Todi und Tuung über die Schultern sahen. »Ist das … «, begann sie und schluchzte. »Was … ?«
»Weg hier, Verain«, befahl Dartun. »Verschwindet alle drei und haltet Wache!« Mit einer Handbewegung scheuchte er sie davon.
Dann musterte er die Leiche erneut. Obwohl er oft Tote zum Leben erweckt hatte, konnte er für dieses Mädchen nichts mehr tun. Sie war zu grausam zerrissen worden, als dass er sie hätte zusammenflicken können.
Welches Geschöpf mag so etwas tun, und warum wollte es dem Mädchen die Knochen rauben? Soll das eine Warnung sein? Dann aber hätte die Leiche an einem auffälligeren Ort platziert werden müssen. Diese Tote dagegen war weggeworfen worden wie Abfall.
Obwohl ihn die Sache wissenschaftlich faszinierte, war er von seiner Entdeckung abgestoßen. Falls eine neue Gattung auf den Inseln des Reichs gelandet war, welches Interesse mochte sie daran haben, die Bewohner Tineag’ls so barbarisch zu töten? Aus anderer Perspektive allerdings hatten viele Stämme hier das Gleiche über Jamur gedacht, dessen Soldaten ihr Land geraubt hatten.
Um aus der verwirrenden
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