Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Bergbausiedlungen höher im Norden zu schuften.
Eine gewaltige, mit Türmen übersäte Zitadelle ragte über dem Hafen auf. Von der Altstadt und diesem Bau mit seinen riesigen Torbögen aus Knochen einmal abgesehen, waren die Gebäude meist flach und nichtssagend – ein tristes und endloses Straßengitter, das es mit der Pracht Villjamurs nicht entfernt aufnehmen konnte.
Während sie ihr Langschiff vorsichtig zwischen den Schollen durchsteuerten, bemerkte Brynd im Hafen eine beunruhigende Zahl von Booten.
Apium trat neben ihn. »Wieder zurück in diesem Drecksloch! Aber vielleicht entlohnt mich eine fette Börse für die einsamen Nächte, die mir bevorstehen.«
»Wie dem auch sei – seht mal!«, unterbrach ihn Brynd und wies auf die Boote, die sich zu Hunderten im Hafen drängten und von denen viele nicht einmal festgemacht waren, als wären sie für ihre Besitzer nicht mehr von Belang.
Apium schob seinen Groll beiseite. »Wie die wohl hierhergekommen sind?«
»Entweder waren sie voller Eisflüchtlinge«, sagte Brynd mit gerunzelter Stirn, »oder es hat etwas mit den Morden auf Tineag’l zu tun.«
Vielleicht hatte man nur des Aromas wegen Kräuter ins Feuer gestreut, doch das erschien Brnyd sofort unwahrscheinlich. Sie standen im Büro des Dicken Lutto, des Bürgermeisters von Villiren. Der stechende Geruch machte Brynd schläfrig. Er wusste nicht, was er einatmete, doch es schien Aronkraut zu sein. Womöglich eine neue Sorte, die Lutto angebaut hatte, um sich bisweilen einen besonderen Kick zu verschaffen.
Seltsame Geräusche drangen aus der Mitte des Zimmers, wo unter Seidenvorhängen violette Kissen hervorsahen.
Brynd näherte sich dem Ursprung des Tumults und rief: »Lutto, seid Ihr das?«
»Was? Wer da?« Ein Fleischberg erhob sich aus einem Gewirr von Leibern und griff nach einem Schwert, das nahe den Kissen lag. »Ihr kriegt eine Abreibung, einfach so hier reinzuplatzen! Ich habe gute Verbindungen zu Schlägern!«
»Bürgermeister Lutto, ich bin Kommandeur Lathraea.«
Ein schwitzendes braunes Gesicht mit Riesenschnauzbart grinste höhnisch durch den Rauch. Hellblaue Augen musterten ihn, ehe sie sich erkennend weiteten. »Kommandeur Brynd! Welche Freude! Einen Moment.« Er schickte die drei nackten Rumelmädchen (braun-, schwarz- und grauhäutig) mit barscher Handbewegung hinaus. Sie warfen sich Sachen über und verschwanden eilig durch eine Seitentür. Die frische Luft, die dabei eindrang, lichtete den Rauch ein wenig.
»So ist es besser.« Der Dicke Lutto watschelte mit der Anmut einer alten Dame, die mit gerefften Röcken durch seichtes Wasser watet, auf Brynd zu. Inzwischen hatte er sich eine silberne Seidenrobe übergestreift, die sich wie ein Tipi um ihn blähte. »Wie geht es meinem liebsten Soldaten? Ihr ehrt Lutto unangemeldet mit Eurer Anwesenheit. Wie nett von Euch! Ihr kommt, um Villiren in Zeiten schlimmster Bedrängnis zu retten!«
»Rumelmädchen?«, fragte Brynd nur.
»Allerdings!« Der Dicke lächelte und verschränkte die Hände. »Die haben robuste Haut und dürften mir keine kleinen Luttos gebären.« Er strich sich nachdenklich den Schnauzer. »Ist mein Lieblingskrieger gekommen, um in schweren Zeiten zu helfen?«
»Alle reden über schwere Zeiten«, bemerkte Brynd. »Ja, wir sind hier, um die Vorgänge auf Tineag’l zu untersuchen. Und zwar auf Eure Bitte hin, wie ich glaube.«
»Endlich! Diese einfache Stadt wird mit den vielen Vertriebenen nicht mehr lange fertig. Auf keinen Fall.«
»Vertriebene?«, fragte Brynd. »Warum stand davon nichts in der Nachricht, die Ihr nach Villjamur geschickt habt?«
»Hmm … damals gab es noch zu wenig Einzelheiten.« Er öffnete verzweifelt die Arme. »Aber inzwischen lastet viel zu viel Wissen auf mir!«
»Ihr habt Eure Pflichten in letzter Zeit hoffentlich nicht vernachlässigt?«
»Würde Lutto so etwas auch nur erwägen? Auf Kosten des Reichs? Ich bin immerhin der treueste Diener der Kaiserin.«
Es klang fast, als wollte er sich seine Ehrenhaftigkeit einreden . »Was könnt Ihr mir Neues über die Lage erzählen?«, fragte der Kommandeur.
Lutto forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich auf ein Kissen zu setzen, und beschrieb ausführlich, was in den letzten Monaten vorgefallen war.
Anfangs waren die Flüchtlinge allein oder zu mehreren gekommen, in kleinen, optimistischen Gruppen. Einige waren nur aufgrund Villirens wirtschaftlichen Möglichkeiten angereist, da die Eiszeit sie ihrer Lebensgrundlagen in der Wildnis
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