Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
weiß gar nicht, wie Ihr heißt.«
»Sofen. Aber was bedeutet das schon, wo hier kaum einer meinen Namen benutzt.«
»Zu welchem Orden gehört Ihr?«, fragte Tryst, um das Thema zu wechseln.
»Zu keinem, Junge – viele Kultisten arbeiten lieber selbstständig. So muss man weniger Rücksichten nehmen und ist an kein Bekenntnis gebunden. Was hältst du davon, mir ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten? Dafür mach ich dir die Relikte genau so zurecht, wie du sie brauchst?«
»Gesellschaft?« Tryst begriff allmählich, worauf sie hinauswollte.
Die ist krank … Die macht doch bestimmt nur Spaß? Oder ist das eine Prüfung, um meine Loyalität zu Urtica zu beweisen?
»Schau nicht so erstaunt drein«, fuhr Sofen fort. »Alte Männer nehmen laufend die Dienste junger Frauen in Anspruch – warum soll es andersrum nicht genauso gut gehen?«
»Richtig.« Tryst verzweifelte langsam. Nur wenn er die Relikte bekäme, könnte er auf Jeryds Tod und die Zerstörung seines Hauses zählen.
»Was ist?«, unterbrach Sofen seine Gedanken. »Findest du mich unattraktiv?«
»Das ist es nicht«, prahlte Tryst. Dabei – machen wir uns nichts vor – würde nicht einmal die Ebbe dich mitnehmen, du alte Vettel . »Aber ich habe meine Grundsätze.«
»Grundsätze?«, fragte sie. »Ha! Und welcher Grundsatz lässt dich nach Mitteln fragen, jemanden umzubringen?«
»Das kommt darauf an, wen man aus welchem Grund töten will.«
Sie musterte ihn. »Ehrlich bist du wenigstens, aber das ändert nichts an meinem Preis: Du entlohnst und befriedigst mich.«
Tryst bedachte erneut seine Möglichkeiten. Diese Sache schmeckte ihm gar nicht.
»Soll ich es dir erleichtern?«, wollte Sofen wissen.
»Wie meint Ihr das?« Tryst war etwas unsicher, ob ihre Frage eine Art Drohung war.
»Warte kurz!« Sie ging auf eine Schwelle zu, die ins Dunkel führte, nahm auf dem Weg dorthin einen Metallspiegel vom Regal und trat in die Finsternis.
Violettes Licht drang über die Schwelle, doch es blieb ganz still. Nur eine dünne Rauchfahne trieb herein wie Räucherwerk.
Tryst stand in gespannter Wachsamkeit da und griff nach dem Kurzschwert unter seinem Umhang. Ein seltsamer, fast blumenhafter Duft ließ ihn die Stirn runzeln.
»Sofen?«, fragte er und machte einen Schritt auf das Dunkel zu.
Eine wunderschöne Frau kam ihm daraus entgegen.
Er war über diese Erscheinung und ihre offenkundige Ähnlichkeit mit einer sechzig Jahre jüngeren Sofen verstört. Ihr Haar war nun üppig und glänzte schwarz, die Augen waren weiter strahlend blau, die Lippen voll, die Wangenknochen hoch. Sie legte ihr Obergewand ab, und ein elegantes weißes Kleid kam zum Vorschein – einfach, aber so geschnitten, dass es ihrem schlanken Leib eng anlag und genug über den Körper darunter verriet, um Trysts Anerkennung zu gewinnen.
»Du kannst den Mund wieder zumachen«, sagte die neue Frau schmunzelnd.
»Wer seid Ihr?«, fragte er.
»Die Gleiche, vor der du dich eben geekelt hast.« Sie stieß ein Lachen hervor. »Bei Magie geht es wirklich nur um Wunscherfüllung. Was du siehst, ist ein Trugbild meines früheren Ichs, und so hast du mich für etwa eine Stunde – also lass dir ruhig Zeit!«
Die Veränderung war so beachtlich, dass es ihm nahezu die Sprache verschlug. »Ich … ich weiß nicht.« Er zögerte.
Sie beugte sich ihm so weit entgegen, dass er den reinen Duft ihrer Haut und ihren frischen Atem roch, und schmiegte ihre Brüste an seinen Oberkörper. All ihre Runzeln und ihre traurige Miene waren verschwunden.
Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Dunkel.
KAPITEL 42
Randur musste zugeben, dass er umwerfend aussah.
Er gab ohnehin eine sehr gute Figur ab, gaffte sich nun aber unwillkürlich im goldgerahmten Spiegel an. Mit seinem zurückgebundenen Haar und der neuen schwarzen Kniehose, dem dunkelblauen Hemd und Jackett sowie seinem schwarzen Umhang wirkte er zu allem bereit. Und allein darum ging es hier in Villjamur.
Eir hatte ihm sogar Schmuck gegeben: eine schlichte silberne Halskette und zwei Ringe. Sie hatte ihn so sehr unterstützt, dass er glaubte, ihr seine Seele zu schulden, wenn er sie ihr nur geben könnte.
Doch Eirs größtes Geschenk war nicht finanzieller, sondern emotionaler Natur. Alles, was er gebraucht hatte, war vielleicht, jemanden zu lieben .
Seiner Mutter das Überleben zu ermöglichen, war dagegen fast unmerklich ins Hintertreffen geraten.
»Hör auf, dich im Spiegel zu bewundern!« Eir kam in sein Gemach. »Das tust du
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