Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Mädchen aus den Höhlen zu entführen und als Sexsklavinnen an Landbesitzer auf den äußeren Inseln zu verkaufen.
Diesmal kämpften sie allerdings nicht gegen einen Haufen Abtrünniger, sondern gegen den Kanzler. Offenkundig war Urtica machtbesessen, kontrollwütig und entschlossen, seine wahnsinnigen Ziele um jeden Preis zu erreichen. Das Ärgernis der Flüchtlinge zu beseitigen, war in seinen Augen eindeutig eine gute Sache, um den Druck auf die städtischen Vorräte zu mindern, der letztlich zu politischer Unruhe führen würde. Damit Urtica bequem auf seinem Kanzlersessel sitzen konnte, mussten die Flüchtlinge gehen.
Beide Rumel betrachteten die vertraute abendliche Szenerie. Sie würden keine leichte Aufgabe haben, aber sie würden das Richtige tun. Jeryd war sehr traurig darüber, dass sich in seiner geliebten Stadt eine solche Verderbnis breitgemacht hatte. Jetzt kam es nur darauf an, dass er alles in seiner Macht Stehende tat, um sie zu bekämpfen.
KAPITEL 41
Wieder einer dieser schwermütigen Villjamurer Abende. Eine Pterodette krächzte so laut über den Türmen der Stadt, dass es wie eine Banshee klang. Hier, vom höchsten Stockwerk der Kaiserlichen Residenz aus, waren die Dächer im Sternenlicht deutlich zu sehen – die Nacht würde kalt und wolkenlos sein. Mitunter lag der Geruch von Räucherstäbchen im leisen Wind und weckte Gedanken an ein wildes Ritual in einer vergessenen Ecke der Stadt.
Tryst liebte diese Stadt und verstand gut, dass sie bei vielen Begeisterung auslöste – auch bei Kanzler Urtica und ihm. Er hatte eine Ecke des Wandteppichs, der die Restwärme des Gemachs bewahrte, angehoben, sah müßig aus dem Fenster und wartete auf Urticas Ankunft. Dass er an seinen Gedanken und Plänen teilhaben durfte, erfüllte ihn in des Kanzlers Gegenwart bisweilen mit solcher Ehrfurcht, dass er die Welt mit den Augen seines Meisters zu sehen wünschte.
Die Tür öffnete sich, und Urtica trat in das prächtig geschmückte Gemach, dessen glitzernder Schmuck um den gewaltigen Kamin gruppiert war.
»Sele von Jamur, Kanzler!«, begrüßte ihn Tryst.
»Was ist mit Eurem Gesicht passiert?« Urtica hielt im Näherkommen kurz inne. »Es hat einen Kampf gegeben, ja? Hoffentlich erregt Ihr nicht zu viel Aufmerksamkeit.«
»Aber nein. Es war nur … na ja, Ermittler Jeryd hatte mir ein paar deutliche Worte zu sagen.«
»Worüber?«
Tryst hielt seinem Blick mutig stand, als sie einander am prasselnden Kamin in die Augen sahen. Er hatte Tuya bis zur Neige ausgenutzt und wollte sie nun einfach aus dem Weg haben. Wahrscheinlich hätte er sie umgebracht, wenn sie ihm nicht entkommen und zu Jeryd geflohen wäre. Jetzt wusste der verdammte Rumel alles. Aber egal – wenn erst ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt war, würde sie rasch zur Strecke gebracht werden. »Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Hure für die Ermordung der Ratsherrn verantwortlich ist.«
»Eine Hure?« Urtica sah überrascht drein.
»Ja. Nach meinen Ermittlungen hat Ghuda bei ihr im Bett gewisse Geheimnisse ausgeplaudert – Enthüllungen, die Euch mit ihm verbanden, Sir. So erfuhr sie von Euren Plänen, die Flüchtlinge zu beseitigen, wusste, wer daran beteiligt war, und beschloss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.«
Urtica unterbrach ihn: »Wir dürfen sie solche Gerüchte nicht herumtratschen lassen – schließlich will ich weiter ungestört agieren. Sie muss sofort aus dem Weg geräumt werden.« Der Kanzler zögerte. »Weiß auch Jeryd davon?«
»Leider«, erwiderte Tryst und war nun beschämt darüber, seine Interessen über die des Kanzlers gestellt zu haben. »Ich hatte sie eingesperrt, aber er hat sie mir abgenommen. Ich wollte nur Eure Ehre schützen, Sir.«
Er sah sein Idol hoffnungsvoll an, und das Herz pochte ihm in der Brust.
»Das habt Ihr sehr gut gemacht, Tryst.«
»Sir, ich würde alles für Euch tun«, erwiderte Tryst eifrig. »Alles.«
»Dafür muss ich Euch vollkommen vertrauen können. Ich weiß, dass Ihr schlau und gerissen seid, aber seid Ihr auch loyal?«
»Natürlich«, flüsterte Tryst.
Der Kanzler ging vor den Flammen auf und ab. »Gut. Dann will ich, dass Ihr Ermittler Jeryd und diese Hure umbringt. Sie dürfen keine Chance haben, andere zu informieren.« Er beugte sich vor und fuhr flüsternd fort: »Was Kaiserin Rika angeht, bin ich drauf und dran, meine Pläne umzusetzen. Um größtes Aufsehen zu erregen, wird sie morgen beim Schnee-Ball verhaftet, und ein Befehl wird ihre Hinrichtung
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