Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
aufgebracht.
Zwei weitere Soldaten packten Randur an den Armen, während ein Dritter ihm mehrmals rasch und gezielt in den Magen boxte. Als sie ihn schließlich losließen, sackte er stöhnend zu Boden. Ein vierter Soldat trat ihm ins Gesicht, sodass er Blut auf die Tanzfläche spuckte.
»Bitte!«, schrie Eir. »Lasst ihn in Frieden, ich flehe euch an! Ich komme ja mit, aber hört auf, ihn zu schlagen!« Sie ertrug die Vorstellung nicht, was sie ihm sonst noch antun könnten.
Als die Soldaten Eir mit inzwischen gezogenem Schwert wegschafften, blickte sie sich nach ihrem Geliebten um, der bäuchlings dalag und nutzloserweise den Arm ausstreckte.
Als wäre nichts geschehen, fuhr der Kanzler – von der eigenen Phrasendrescherei berauscht – zu reden fort.
»Ich habe es auf mich genommen, die Bevölkerung vor diesem hinterhältigen Bruch unserer ehrwürdigen Gesetze der Gastfreundschaft zu bewahren. Schon morgen früh werden die Kaiserin und ihre Schwester vor Gericht gestellt. Die Öffentlichkeit wird über die geplanten Schreckenstaten der beiden umfassend informiert. Ich versichere euch allen, dass diese beiden bösen Frauen angemessen bestraft werden.«
Eir hörte diese Worte noch. Dann schlossen sich die Türen hinter ihr.
Wie konnte das geschehen?
Und warum heute Abend?
Die Wächter, die sie sonst beschützt hatten, schleiften sie nun ins Dunkel davon, und Eir fürchtete um ihr Leben.
KAPITEL 43
Die Soldaten hatten ihre Schiffe wider Erwarten schnell aufs Eis gezogen. Das Festland war noch ein gutes Stück entfernt, doch das Eis war dick genug, um die Pferde gefahrlos von Bord zu bringen.
Alles war in Grau und Weiß gehüllt und der Horizont nicht zu erkennen. Immerhin schneite es nicht, und der Wind wehte nur schwach. Ein günstiger Zeitpunkt für eine Schlacht also, wenn sich auch sonst nichts Positives vermelden ließ.
Mit den frisch rekrutierten Nachtgardisten und den zusätzlichen Dragonern ritten die Kaiserlichen Soldaten in gleichmäßigem Tempo auf Tineag’l zu. Die zweihundert Männer und Frauen bewegten sich durch Gruppen von Flüchtlingen hindurch, die ihre Habseligkeiten ans äußerste Ende ihres Landes schafften. Diese Leute hatten ihre Dörfer kaum je verlassen und kämpften nun um ein neues Dasein und neue Perspektiven. Brynd beauftragte zwanzig Soldaten der Zweiten Dragoner, sie zu den vielen Schiffen zu geleiten, die sich dem Packeis näherten, um sie aufzunehmen.
Um die Flüchtlinge nicht unnötig zu beunruhigen, hatte man Jurro ersucht, sich ein Stück von ihnen fernzuhalten, und daran hielt er sich auch, obwohl sie seine schwerfällige Gestalt gewiss in der Ferne ausmachen konnten.
Brynd nutzte die Gelegenheit, einige Flüchtlinge kurz zu befragen, um mehr über den unbekannten Feind zu erfahren, doch die meisten waren keine Augenzeugen, sondern aufgrund von Gerüchten geflohen. Halbwüchsige Männer erörterten so bestürzt wie aufgeregt, ob eine neue Gattung aufgetaucht sei oder ein Schurkenheer oder Leute aus Varltung, ob sie aus anderen Welten kämen oder am Ende gar Götter seien. Da Brynds Männern mithin keine Tatsachenberichte zur Verfügung standen, mussten sie selbst ermitteln, was ihnen bevorstand.
Stundenlang ritten sie ins Innere der trostlosen Insel. Nur mehr ausgestorbene Städte und Dörfer waren übrig, über denen sich ein leerer Himmel wölbte. Der Wind nahm etwas zu und wirbelte Pulverschnee auf, der die Luft sofort trübte. Sie wickelten sich Schals vors Gesicht und blickten nur noch durch einen Schlitz.
Was Brynd über die Geografie der Insel gewusst haben mochte, war unter dem hohen Schnee längst begraben. Sie hätten in einer außerirdischen Welt unterwegs sein können.
»Wir reiten, bis wir etwas finden«, entschied er, als seine Männer ihn nach dem vorläufigen Ziel fragten. Er hätte einen Garuda gebraucht, doch in Villiren hatte es keinen gegeben.
Er galoppierte zum Dawnir, der die Männer ringsum hoch überragte. »Ist das alles, was Ihr wolltet, Jurro – das übliche Soldatenleben? Oft ist das nicht gerade die aufregendste Erfahrung.«
»Für mich schon. Bedenkt, dass ich viele Jahre lang die gleichen vier Wände angestarrt habe. Keiner der früheren Kaiser hat mir erlaubt, mein allzu kleines Reich zu verlassen.«
»Und weckt etwas von dem, was es hier zu sehen gibt, Erinnerungen?«, fragte Brynd. »Tritt in Eurem großen Kopf etwas zutage?«
»Bis jetzt leider nicht.«
»Und was hofft Ihr zu finden?«
»Wenigstens irgendwas.«
Es war
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