Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
nur ihr Gefühl der Einsamkeit.
»Dein Körper … ich meine, du bewegst dich so gut«, sagte er gerade und pries noch immer ihren Auftritt im Bett, wie Männer es oft tun, wenn klar ist, dass sie mit ihren Liebschaften wenig gemein haben.
Schließlich sagte sie: »Tundra.«
»Wie bitte?«
»Gestern Abend im Wirtshaus – die Sprüche, mit denen du mich rumgekriegt hast. Ich schätze, Politiker können sich gut ausdrücken. Du hast gesagt, mein Körper sei wie die Tundra, hast meine vollkommene, glatte, weiße Haut gelobt, die dem Schnee gleiche. Meine Brüste hast du sogar mit steilen Schneewehen verglichen. Du hast meine Brüste und meine glatte Haut gerühmt und mich Eis in Menschengestalt genannt. Mit so fürchterlichen Sprüchen bist du mir gekommen. Aber was ist mit meinem Gesicht?«
Und schon strich sie mit der Hand ihre schreckliche Narbe entlang.
»Ich sagte doch, dass du eine überaus anziehende Frau bist.«
»Auch Pferde können anziehend sein, Ratsherr.« Sie sah ihm kurz in die Augen. »Aber wie sieht mein Gesicht aus?«
»Herrlich, Tuya.«
»Herrlich?«
»Ja.«
Er hob den Kopf, um sie genauer zu betrachten, während sie den Morgenmantel fallen ließ. Ihr war klar, wie er reagieren würde, wenn das trübe Licht auf ihre Haut fiel. Sie nahm einen Aronkraut-Glimmstängel vom Tisch, zündete ihn aber erst an, als sie sicher war, dass er sie nicht mehr musterte. Der intensiv duftende Rauch zog durchs Zimmer und zum Fenster hinaus.
Er nahm sie noch immer etwas verschwommen wahr, als sie ans Bett kam und ihm vom Aronkraut anbot. Unwillkürlich nahm er ihr Handgelenk und rieb es sanft zwischen Daumen und Fingern. Er sah willenlos und kläglich drein.
»Du bist wunderschön«, sagte er. »Appetitlich.«
»Beweis es mir, Ratsherr Ghuda«, sagte sie, stieg auf den Lächelnden und sah zu, wie er sich ihrem Willen fügte.
Der Glimmstängel fiel auf den Boden, und Asche sprang über die Fliesen.
Als er später wieder eingeschlafen war, dachte sie über das Gespräch nach, das sie kurz zuvor geführt hatten.
Er hatte viel geredet, was für einen Mann nach dem Sex ungewöhnlich war. Sie grübelte über das, was er gesagt hatte – über die Einzelheiten , in die er gegangen war.
Er hatte sie schockiert.
Ein Mann in seiner Stellung hätte ihr niemals so viel erzählen dürfen, aber er war vermutlich noch immer ziemlich berauscht gewesen. Sie hatten bis in den Morgen hinein Wodka getrunken. Erst als die Sonne schon am zinnoberroten Himmel gestanden hatte und die Stadt völlig erwacht war, hatte er sie verlassen, und ihr Atem hatte nach Alkohol gerochen. Er war ohne zärtlichen Abschied gegangen, ohne jede Geste von Intimität. Er war einfach in seine Ratsherrenrobe geschlüpft und aus der Tür getreten.
Doch nicht sein beiläufiger Abgang hatte sie bestürzt, sondern das, was er kurz vor dem Einschlafen gesagt hatte – die schlichten Aussagen, die er ernst gemeint haben mochte oder auch nicht.
Schon jetzt verfolgten sie seine Worte.
Hinterher vergegenwärtigte Ratsherr Ghuda sich wie so oft seine ehebrecherischen Ausschweifungen.
Vor vier Jahren hatten sie begonnen. Damals hatte er erkannt, dass er nicht all seine Gefühle auf eine Person richten konnte, auf seine Frau. Er hatte Beula im Bett erwischt, als sie sich mit dem Mund an einem Dragoner zu schaffen machte, und dieses Bild verfolgte ihn seither als sein persönlicher Klopfgeist ununterbrochen und zermürbte ihn allmählich. Sein Selbstwertgefühl trieb seither wie eine unbeantwortete Frage im Wind, und seine Männlichkeit war erschüttert.
Mit Huren zu schlafen, war in dieser Verfassung hilfreich.
Erst war es nur eine Fantasie, eine Flucht, doch dann wurde es mehr, ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit und anspruchslosem Nervenkitzel mit einer anderen Frau. Wenn er sich in üblen Sprüchen und plumpen, überzogenen Gesten verlor, gelang es ihm, etwas wie Identität zusammenzukitten. Nach dem Sex pflegten die Frauen, die er bezahlt hatte, ihn geistesabwesend zu betrachten, während sie sich mit einem Handtuch abwischten, um all seine Spuren von ihrem Körper zu entfernen. Keine dieser Frauen liebte ihn, und was sie redeten, hatte nichts mit ihnen zu tun, doch Tuya, die Frau von letzter Nacht, schien fast aufrichtig herzlich zu sein, als könnten im introvertierten Villjamur zwei Introvertierte das Gefühl bekommen, zueinander zu gehören, wenn auch nur für eine Nacht.
Ghuda sah hoch, als der Himmel aufklarte, das rote Sonnenlicht vom nassen
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