Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
Vom Netzwerk:
alles belassen wurde, wie es war.«
    »Das kann ich nicht völlig garantieren, doch das meiste ist noch an Ort und Stelle.«
    »Seid auch Ihr dort drin gewesen?«, fragte Jeryd.
    »Natürlich. Wir haben an vielen Unterlagen gemeinsam gearbeitet.«
    »Ihr habt ihm also wohl nahegestanden. Hatte Ghuda Feinde? Jemanden, der ein Interesse daran gehabt haben könnte, dass er von der Bildfläche verschwand?«
    »Feinde haben wir alle«, erwiderte Urtica lächelnd. »Das ergibt sich aus unserer Position. Wir können nicht hoffen, immer alle zufriedenzustellen.«
    »Das ist keine wirkliche Antwort auf meine Frage, oder?«, erwiderte Jeryd vielleicht schärfer als tunlich.
    »Mir fällt niemand ein, der es gerade auf ihn abgesehen haben könnte – lasst es mich so sagen.« Der Kanzler sah den Flur entlang, und Jeryd folgte seinem Blick. Ein paar Ratsmitglieder kamen durch einen großen Marmorbogen. »Ihr werdet mich nun entbehren müssen, Herr Ermittler, denn ich habe eine wichtige Besprechung. Aber Ihr könnt gern wieder auf mich zukommen, wenn ich fertig bin.«
    Urtica hastete an ihm vorbei und den Korridor hinunter.
    Tryst betrachtete derweil geistesabwesend einen Wandteppich.
    Jeryd drehte sich zu dem Wächter um, der ihn und seinen Gehilfen eskortierte. »Zeigt mir Ghudas Zimmer!«
    Glatte Wände, dunkle Holzvertäfelung und Modergeruch prägten die Zimmer, in denen die Ratsmitglieder ihren Amtsobliegenheiten nachkamen. Ausstattung und Zierrat waren alt, aber opulent, als sollten sie – wie Jeryd kühl dachte – alle Amtsträger an den Reichtum erinnern, dessen sie sich an der Spitze erfreuten. Seht, wie weit ihr es gebracht habt , schien aus all diesen Dingen zu sprechen. Auf Sockeln standen kleine Büsten, die die Kaiser der gegenwärtigen Dynastie zeigten: Haldun, seinen Sohn Gulion, Goltang und natürlich den verrückten alten Johynn. Ein Stapel Pergamente lag auf dem großen Schreibtisch am Fenster, das mit Pseudo-Azimuth-Ornamenten geschmückt war, schlichten Rechtecken, elegant und präzise. Der Ausblick war nicht besonders: Man sah aufs langweilige Meer und auf nackte Klippen, in deren Spalten Pterodetten nisteten und die Felsen mit Kot befleckten. Dennoch war dieses Büro weit besser als das von Jeryd.
    Der Ermittler hatte Tryst beauftragt, einen der Wächter nach den üblichen Wegen des Ratsherrn zu befragen, um einen Eindruck von seinem Tagesablauf zu gewinnen. Jeryd begann, seinem Gehilfen langsam zu misstrauen. Wie er Blickkontakt mit Urtica aufgenommen hatte, war ziemlich beunruhigend gewesen. Vorderhand war es wohl am besten, ihn loszuwerden. In diesem Beruf musste man seinen Ahnungen folgen.
    Er sichtete einige auf dem Schreibtisch verstreute Pergamente und Schriftrollen. Sie verzeichneten Geldströme zwischen Landgütern auf den äußeren Inseln und der Stadt Villjamur. Der Grund und Boden im Kaiserreich gehörte überwiegend Privatleuten, die ihn geerbt oder erobert hatten. So konnten die Landgüter mit den höchsten Erträgen belohnt werden, und die Menschen wurden zu technischen Verbesserungen ermuntert. In letzter Zeit aber galten große Geldbewegungen als verdächtig, vor allem, wenn sie womöglich den Reichen dazu dienten, vor der Winterstarre zusätzliche Diener und Arbeiter nach Villjamur einzuschmuggeln.
    Doch all das war für Jeryd nicht von Nutzen.
    Er geriet an ein Todesurteil, das über mehrere Diebe aus den Höhlen verhängt worden war, die Flüchtlinge hatten einschmuggeln wollen. Das Gesetz ist aufseiten der Reichen , dachte Jeryd seufzend. Er sah sich eine Schriftrolle an, in der es um die Getreideversorgung der nach Folke entsandten Dragoner ging, und las von einem Landbesitzer, der all sein Eigentum verkaufte und sich in die Stadt begeben wollte, um dem Eis zu entgehen. Er überflog Dokumente, in denen Sklaventransporte von Folke zu den Minen auf Tineag’l erlaubt wurden.
    Es war eine insgesamt wenig anregende Materie, und alle Unterlagen schienen auf dem Tisch arrangiert, um ein gutes Bild von Ghuda zu vermitteln. Die Inquisition würde nichts Abträgliches entdecken. Hier handelte es sich schließlich um Politiker.
    Irgendwo aber musste Ghuda seine privaten Unterlagen verbergen. So war es bei Ratsmitgliedern doch stets – ihre Hinterlist und ihr Selbsterhaltungstrieb waren legendär.
    Es muss einen losen Stein geben oder vielleicht eine Nische hinter der Holzvertäfelung. Jeryd betastete die Wände und klopfte das Holz ab, doch alles schien solide. Also besah er sich auch die

Weitere Kostenlose Bücher