Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Magus«, sagte Tryst und trat neben den Kanzler. »Man könnte meinen, die Stadt wäre von einem Voyeur entworfen worden.«
»Vielleicht«, seufzte Urtica. »Und doch liebe ich sie. Sie vermag so viel!«
»Schade, dass die Eiszeit sie nun so einschränkt.«
»Dagegen vermögen wir wenig zu tun, aber sie dauert ja nur einige Jahrzehnte. Wir hier drin können das überstehen.« Dann fasste er die Flüchtlingslager und den rauchgestreiften Himmel ins Auge. »Und das bedeutet, dass wir stärker daraus hervorgehen.« Urtica hieb mit der Hand auf die Brüstung und wandte sich Tryst frontal zu. »Euer Vorgesetzter, Ermittler Rumex Jeryd – was denkt Ihr ehrlich über ihn?«
»Ehrlich?«
»Ehrlich.«
Tryst sog erneut am Glimmstängel und blies den Rauch langsam in die Nacht hinaus. »Nun, Magus, das ist schwierig. Wir waren gute Freunde, und er hat mir zugegebenermaßen viel geholfen. Doch inzwischen sehe ich das anders, weil er meine Beförderung verhindert.«
»Wegen der Alterssache?«, vermutete Urtica.
»Allerdings. Da ich nicht so lange lebe wie ein Rumel, meint er, dass ich nie genug Erfahrung sammeln werde. Deshalb hilft er mir nicht weiter. Er versucht es nicht mal.«
»Und ist er ein fähiger Beamter der Inquisition?«
»Oh ja, was seine Arbeit angeht, ist er gut. Aber er wird mit der Tradition nie brechen und es nicht einmal probieren.« Tryst zog ein finsteres Gesicht. »Ich denke, ich verdiene Besseres.«
»Nun, er geht mir ziemlich auf die Nüsse«, sagte Urtica, »aber ich möchte nicht, dass er beseitigt wird. Das würde nur Aufmerksamkeit erregen und könnte den Eindruck erwecken, der Rat sei korrumpiert. Nein, wenn er so gut ist, wie manche sagen, wird er hoffentlich den Mörder finden – auch wenn er mir auf die Nerven fällt.« Urtica fröstelte, als ein feuchtkalter Wind unter seine Robe fuhr. »Ich will, dass er den Mörder findet, sich aber nicht so tief in die Angelegenheiten des Rats kniet, um womöglich ins Gebiet der Ovinisten zu stolpern. Jedenfalls nicht jetzt, wo ich so viele Pläne für uns habe. Er scheint seine Arbeit ungemein ernst zu nehmen, und ich darf nicht riskieren, dass er uns entlarvt.«
»Kann ich Euch dabei behilflich sein?«, fragte Tryst.
»Ja, sagt mir, ob es etwas gibt, womit wir ihn ablenken können, damit er nicht zu tief schürft.«
Tryst berichtete, dass Jeryd und Marysa ihre Verbindung wieder hatten aufleben lassen, dass sein Chef die Beziehung zuvor verbockt habe und dass er sich das kein zweites Mal leisten könne.
»Das mag sich als nützlich erweisen«, sagte Urtica. »Vielleicht könnt Ihr unseren Ermittler ablenken, indem Ihr seine Beziehung zerstört. Ich weiß nicht, wie, aber bringt diese Marysa nicht um oder so. Das würde ihn völlig von dem Fall abspringen lassen, obwohl er bloß aufhören soll, seine Nase in Ratsangelegenheiten zu stecken, um sich stattdessen nur noch mit oberflächlichen Dingen zu befassen. Lasst Euch etwas einfallen, um ihn auf Mörderjagd zu halten.«
»Das lässt sich gewiss einfädeln.« Tryst runzelte die Stirn. »Mir muss nur einfallen, wie.«
»Ihr habt Euch als sehr nützlich erwiesen, Tryst. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir künftig etwas näher stündet. Wir müssen wichtige Pläne entwickeln, vor allem hinsichtlich der Flüchtlingslage.« Urtica deutete unbestimmt auf den Stadtrand. »Das Gesindel jenseits der Mauern verbreitet Schmutz und Krankheit. Ich brauche jemanden, der mir hilft, mit diesen Leuten fertig zu werden. Wenn es so weit ist, wird das ganz und gar keine angenehme Aufgabe sein. Traut Ihr sie Euch dennoch zu?«
»Magus Urtica«, erwiderte Tryst lächelnd, »es wäre mir eine Ehre.«
»Gut, dann lasst mich Euch mehr über meine Vorschläge in dieser Angelegenheit erzählen, mein Junge … «, begann Urtica und wandte sich wieder Villjamur zu.
KAPITEL 22
Das ist unklug gewesen, dachte Randur und rappelte sich neben der Taverne vom Pflaster auf, so schnell so viel zu trinken.
Er spürte feuchten Splitt auf den Handflächen, und seine Armmuskeln flatterten, als er sich aufrichtete. Der Kopf dröhnte so sehr, dass er ihn am liebsten abgetrennt hätte. Als er aufblickte, sah er Denlin neben sich auf einem kleinen Hocker sitzen.
Immer noch trinkend.
Immer noch redend.
»Morgen, Junge!«, sagte der Veteran fröhlich.
Randur sackte ächzend zu Boden, und der Alte platzte vor Lachen.
»Ihr jungen Leuten glaubt immer, mit uns mithalten zu können. Aber wir sind seit Jahrzehnten dabei. Ich hab
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