Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Flügeln?«
Nach kurzer Beobachtung erwiderte sie: »Ich hab nur mal einen in einem Buch gesehen … aber dieses Wesen sieht auf jeden Fall nach einem Affen aus.«
Das Geschöpf tauchte hinter ihnen auf und drehte gleich wieder ab, sodass Randur es nicht deutlich zu sehen bekam. Und dann war er von dem Anblick über ihnen abgelenkt. »Oha, ist auch egal, Eir.«
Sie schwebten auf den massigen Umriss zu, den sie vom Boden aus gesehen hatten: eine gewaltige Konstruktion, an deren Unterseite Dutzende weiterer Flugwesen hingen. Es war eine Art Schiff oder eher eine schwebende Insel von mehreren Tausend Schritten Durchmesser. Ihre Unterseite war zerklüftet, und Holz- und Metallbrocken ragten heraus. Je näher sie kamen, desto sicherer war sich Randur, im Innern des Ganzen ein Licht glühen zu sehen. Ihm klappte vor Verwunderung die Kinnlade herunter, als die Seile sie in die Mitte des riesigen Schiffs zogen.
KAPITEL 32
D oktor Voland war hocherfreut über die Qualität der letzten Ernte. Soldaten lieferten gutes Fleisch, und da viel Militär in die Stadt strömte, würde das Verschwinden einiger Gefreiter kaum auffallen.
Nanzi hatte ihm Ehre gemacht und es sich verdient, ein wenig auszuruhen. Heute war ihr freier Tag, und er würde sie bekochen, wenn sie aufwachte. Tagsüber in der Inquisition zu arbeiten und abends die Straßen nach Beute zu durchstreifen, erschöpfte sie auf die Dauer. Manchmal verschlief sie ihren ganzen freien Tag.
Er hatte also von vorletzter Nacht vier Tote und von letzter Nacht zwei, obwohl er nicht mal den aufgelaufenen Leichenschwung ganz bewältigt hatte. Es gab viel zu tun, und er würde für seine Mühen einen netten Erlös erzielen.
Mit seinen Vorräten ließen sich einige Dutzend Familien ernähren, und in harten Zeiten wurde auch zweifelhaftes Fleisch verzehrt. Im Halbdunkel seines Schlachthauses hatte Voland einen Kadaver auf dem Arbeitstisch liegen, während drei andere an dicken, durch den Nacken gespießten Haken von der Decke hingen. War die Leiche kurz in kochendem Wasser gewesen, ließ sich die Haut einfach abziehen, und sobald die verräterischen Äußerlichkeiten fehlten, unterschied sich der menschliche Körper wenig von dem anderer Geschöpfe. Voland entfernte ein paar innere Organe und legte sie auf ein Metalltablett.
Zwar argwöhnte er, es sei ein wenig seltsam, so mit Menschen umzuspringen, doch er fühlte sich seiner Gattung schon lange entfremdet. Er sah sich als Einzelgänger, konnte zwischen sich und anderen kaum einen Zusammenhang herstellen und hatte die letzten zehn Jahre lang fast nur mit Händlern und über Geschäftliches gesprochen. Er war von der Welt enttäuscht, am meisten von Villiren. Hier schien das Geld alles zu bestimmen, und die Laster schossen ins Kraut und raubten den Bewohnern jede Würde. Kein Wunder, dass man überall auf Leute stieß, die unter den Verhältnissen litten: auf Obdachlose und Huren, auf Leute, die unter verheerenden Bedingungen niedrigste Arbeiten verrichteten, als Bergleute zum Beispiel in den Gruben ringsum. In Villiren schienen die Bewohner bloß zu vegetieren, und alle waren Sklaven des Kaiserreichs. Nur die schimmernden kleinen Münzen stellten sie ruhig, denn sie dienten dazu, den Hunger zu stillen und sich mit Bier zu betrinken, damit die Leute sich nicht zu sehr beklagten. Dazu kam, dass die Bürger von den politischen Entscheidungen, die alle betrafen, ausgeschlossen waren.
Nein, er mochte wenig in dieser Welt und konnte mit dem Leben im Kaiserreich Jamur nichts anfangen … dem Leben im Kaiserreich Urtica , wie er sich klarmachte. Auch er war ein Opfer der Verhältnisse, die ihn zu einem Rädchen im Getriebe der kaiserlichen Ordnung herabwürdigten und ihn dauernd Fleisch liefern ließen, damit andere überlebten. Die Leute mussten schließlich über die Runden kommen. Für diese Arbeit hatte sonst kaum jemand den Mumm. Zudem verbesserte sie die Nahrungsmittelversorgung und half, die Preise so niedrig zu halten, dass die Armen überlebten. Es war ehrenwerte Arbeit, die der ganzen Stadt zugutekam.
Die Phonoi erwachten aus dem Nichts zum Leben. »Guten Morgen, Doktor!«, flüsterten sie und bildeten Nebelschleier.
»Dürfen wir Euch weiter behilflich sein?«, säuselte eine Stimme.
»Sollen wir den Nächsten vom Haken nehmen?«
»Geht es Euch gut, Doktor?«
Voland lächelte über die kleinen Dämonen. »Bestens, danke! Ich arbeite noch an dem hier, aber ihr könnt schon den Nächsten anschleppen.«
»Für Euch tun
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