Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
gefallen, verlor dann aber das Interesse an ihm.
Jeryd besah sich die geschlossene Tür. Längst war er so klug, sich nur mit Verstärkung in Bandenangelegenheiten zu mischen. Viele Beamte der Inquisition hatten Torheit für Tapferkeit gehalten und diese Verwechslung mit dem Leben bezahlt. Weil er überarbeitet war und unter Druck stand, hatte es Tage gedauert, bis Jeryd hierhergekommen war, zu der Adresse, die Malum ihm gegeben hatte. Nun stand er vor einem trostlosen und unauffälligen Gebäude mit ähnlichen Bauten ringsum und wusste noch immer nicht recht, was er bei diesem Voland entdecken würde. Der Anblick der grässlich zugerichteten Leiche in der Peepshow hatte ihm allerdings schwer zugesetzt.
Ein Stück entfernt kauerten Straßenbettler in einer Einfahrt, wärmten sich die Hände über einer Feuertonne, lachten und tauschten wüste Bemerkungen. Einer warf Jeryd eine rassistische Unverschämtheit an den Kopf, und damit es nicht zu einer Szene kam, entfernte der Ermittler sich ein Stück die schmuddelige Straße entlang. Einige Kinder schlitterten munter über eine kleine Eisbahn.
Was hatte all dies mit anrüchigem Fleisch zu tun? Er hätte nicht hier sein sollen. Schließlich bezahlte die Inquisition ihn nicht dafür, Nahrungsmittel zu untersuchen. Er hätte den Morden nachgehen und das Rätsel lösen sollen, wer oder was Leute von der Straße verschleppte. Doch seine Neugier war stärker gewesen. Außerdem arbeitete er härter als alle Kollegen – also stand ihm wohl auch etwas Freizeit zu.
Er musterte die Mauern des Gebäudes. In die schwarze Eisentür war ein Spruch geritzt:
Rumel verpist euch – nur für Menschen
Hübsch , dachte Jeryd bitter. Der Rechtschreibfehler war ihm nicht entgangen.
Er legte das Ohr an die Tür, vernahm aber nichts, ging an dem Gebäude entlang und bog in eine belebtere Straße, auf der dürre Pferde Karren mit schimmligem Gemüse zogen. Ein Trilobit stand geduldig mit seinem Werkzeug zwischen zwei Arbeitern. Sie werkelten an einer eingesackten Mauer, die an die »Ritter von Villiren« grenzte, eine der zweifelhaftesten Tavernen, die Jeryd je gesehen hatte, schlimmer noch als selbst der »Garudakopf« in Villjamur. Er ging die übrigen Mauern des Schlachthauses ab, entdeckte aber keinen weiteren Eingang.
Also kehrte er zurück an die Ecke, drückte sich dort herum und sah ab und an nach der einzigen Tür des Gebäudes. Nach wenigen Minuten öffnete sie sich scheppernd, und Münzen zählende Ganggenossen traten auf die Straße. Mit zufriedenem Lachen verschwanden sie in Richtung der Bettler, die nicht wagten, ihnen in die Augen zu sehen. Sogar die Kinder suchten das Weite.
Jeryd ging auf die offene Tür zu, um einen Blick ins Innere zu erhaschen, glitt aber auf der Eisbahn aus. »Mist!« Er fiel auf den Hintern, rutschte ein, zwei Meter und knallte gegen eine Mauer.
Als er sich aufrappeln wollte, stand Nanzi vor ihm. Ein Windstoß trieb Müll durch die Straße, und er bemerkte, dass ihre Beine unter dem Saum ihres langen, flatternden Rocks ungewöhnlich stark … behaart waren.
»Ermittler Jeryd, was tut Ihr denn hier?«, fragte sie und strich den Rock herunter, damit er nicht so flatterte.
»Ich mach mich zum Deppen«, brummte er, während er sich mühsam erhob und dabei über seine Kleidung fuhr. Ihm tat der Hintern weh, und seine Hände froren bitterlich. Mit den Beinen des Mädchens stimmt was nicht – ob sie mal mit einem unfähigen Kultisten aneinandergeraten ist?
»Aber was verschlägt Euch hierher?«, wollte sie wissen.
»Verlaufen hab ich mich. Ich hab nach der Adresse gesucht, die Malum mir gegeben hat.«
»Soll ich Euch helfen? Über diesen Fall habt Ihr mir kaum was erzählt.«
Er blies in seine hohlen Hände und musste die ganze Zeit an ihre Beine denken. »Und was machst du hier draußen?«
»Das ist mein Weg zur Arbeit. Ich will gerade ins Büro. Ihr auch?«
»Ich kann den Laden auch ein andermal kontrollieren. Immerhin weiß ich jetzt, wo er ist. Gehen wir also zurück in die Zentrale. Vermutlich gibt es jede Menge Berichte zu lesen, und außer mir kümmert sich niemand darum.«
Spät am Abend liebten Nanzi und Voland sich wieder auf das Zärtlichste. Sie brauchte diese Entspannung nach dem harten Arbeitstag. Eine schöne junge Frau war attackiert worden, und Nanzi hatte sie den Großteil des Nachmittags beruhigt und die Einzelheiten zu Protokoll genommen. Niemand sonst in der Inquisition schien zu begreifen, wie traumatisch diese Erfahrung
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