Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Leuchtlinien langsam voran, sodass Malums Männern nur der Rückzug blieb.
Plötzlich barst knallend eine Außenmauer, und der Flur war voller Mörtelstaub, in den ein scharfer Winterwind fuhr. Alle hielten inne und flüsterten erregt und verstört.
»Was war das?«, fragte einer hustend.
Von der Straße drangen Schreie herauf, Männer gaben Befehle, eine Frau kreischte.
Es pfiff, und schon tat es wieder einen dumpfen Schlag.
Malum kletterte rückwärts durch die Trümmer, trat über die blutenden Glieder zweier seiner Männer und sah durch die aufgerissene Mauer auf Stadt und Meer. Überall Soldaten, als würde Villiren von einer Rattenplage heimgesucht. Ihr Gleichschritt hallte durch die Straßen. Eine Glocke begann tief und dröhnend zu läuten und ließ die Stadt verharren.
»Was ist da los, Malum?«, fragte jemand.
Er hatte keine Ahnung. Mehrere seiner Leute standen neben ihm und betrachteten tief erschrocken, was geschehen war. Da erst begriff er: Das Hotel war beschossen worden! Absurd, dass etwas ein Gebäude in solcher Höhe treffen konnte …
Zu Malums Füßen lag einer unter der eingestürzten Wand. Sein Mund öffnete und schloss sich, brachte aber keinen Ton hervor, und als der Verletzte das merkte, verzog sich sein Gesicht im Todeskampf.
Seltsam , dachte Malum.
Wieder ertönte erst ein Pfiff, dann eine Explosion, diesmal weiter rechts: Eine zweistöckige Häuserreihe mit billigen Wohnungen ging in Staub und Rauch auf. Weitere Schreie ertönten, und schon bald läuteten weitere Alarmglocken.
Malum kletterte in den beschädigten Flur zurück. Beami und ihr Soldat waren verschwunden. Er trat die Tür zu ihrem Zimmer ein: leer.
Die verdammte Frau war ihm entkommen.
Beami und Lupus hetzten in vollem Lauf an erstaunten Bürgern vorbei. Mit umgeschnalltem Köcher, den Bogen noch in der Hand, redete er eindringlich auf sie ein. Die Glocke rief ihn in die Zitadelle zurück.
Der Krieg begann.
Etwas traf ein Gebäude weiter oben, und gut zehn Meter hinter ihnen krachte Mauerwerk auf die Straße.
Was geschieht hier? Sind das Fluggeschosse?
Beami drehte sich um und bemerkte ein zerstörtes Café, dessen Trümmer noch von der Explosionshitze glühten. Davor liefen Leute herum, Kinder schrien, Männer gaben verworrene Befehle, Glasscherben lagen im flachen Schnee. Gerade wurden drei Männer und eine Frau aus den Trümmern geborgen. Beami und Lupus liefen zu den Überlebenden, um zu sehen, ob sie Hilfe benötigten, doch als die Geretteten antworten wollten, brachten sie keinen Ton heraus. Fassungslos sahen sie sich an, wiesen auf ihre Kehlen und stießen lautlose Schreie aus.
Alle vier waren stumm geworden.
Beami sah auf, als es erneut pfiff: Ein Geschoss jagte auf eine zerstörte Feuerkornleitung zu, und der Einschlag sandte flüssige Flammen zum Himmel, die die gesamte Stadt erleuchteten. Wie Lupus duckte sie sich instinktiv, als Steine niederprasselten. Es war kurze Zeit still; dann begannen die Glocken von Neuem zu läuten. Lupus winkte einen Fiaker heran, um die ihrer Stimme Beraubten ins Lazarett schaffen zu lassen.
Die Liebenden hetzten zur Zitadelle.
Brynd lauschte den Berichten über die Opfer der Geschosse. Viele, hieß es, konnten nicht mehr reden. Ihre Stimmen seien ausgelöscht. Zeugen hatten den Waffen gleich einen Namen gegeben: Schweigebomben.
Eine Staffel von fünf Garudas sollte ermitteln, woher die Bomben kamen. Welchen Gegenschlag konnte ein normaler Truppenkommandeur angesichts einer so seltsamen Technologie planen? Von Geschossen dieser Reichweite und so verheerender Wirkung hatte Brynd niemals auch nur gehört. Das deutete auf ein Niveau der Kriegsführung, das weit über dem der Kaiserlichen Armeen lag: eine bei allen früheren Feldzügen undenkbare Vorstellung.
Brynd sandte sofort ein Hilfeersuchen an die Kultistin Blavat, da ihm klar war, dass er alles brauchte, was sie ihm an Relikten, Fertigkeiten und Rat gewähren konnte. Dann wurden Boten geschickt, um die übrigen Kultisten aufzubieten und ihnen eine hohe Belohnung für ihr Können zu offerieren.
Es gab noch keine direkte Invasion, kein Okun war übers Meer gekommen, und auch andernorts war niemand an der Küste gelandet. Große Verluste aber schienen unausweichlich, doch die Befehle aus Villjamur waren klar:
Haltet die Zahl der Toten möglichst gering, aber sorgt dafür, dass die Stadt nicht aufgibt, denn dazu ist sie ein zu wichtiges Handelszentrum. Falls Ihr die Stadt dennoch verlieren solltet, müsst Ihr
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