Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat
Vielleicht fängt er uns eine Maus zum Nachtmahl. Wie schön!
Sonst war es immer Nyra, die sich und ihrem Sohn einen Happen zum Nachtmahl erbeutete. Wird auch langsam Zeit, dass er sich mal beteiligt , dachte sie. An ihrer Mutterrolle störte sie am meisten, dass man alles allein machen musste. Das Kind mit Nahrung versorgen, das Nest sauber und ordentlich halten und so weiter und so fort. Das war genug Arbeit für zwei erwachsene Eulen – aber Nyra war Witwe. Sie betrachtete ihre beinahe kahl gerupfte Brust. Ein abstoßender Anblick! „Ach, Kludd …“, seufzte sie.
Nyra setzte sich vor den Höhleneingang. Stürmer flog vorbei, einer ihrer fähigsten Offiziere. „Heute ist die große Nacht!“, rief er ihr zu.
„Ja, heute findet Nyrocs Tytari statt. Stell dir vor, mein Sohn ist ausgeflogen und jagt mir etwas Gutes zum Nachtmahl!“
„So ist’s recht. Ganz der Vater.“ Kaum hatte Stürmer es ausgesprochen, beschlich ihn ein ungutes Gefühl.
„Die Mutter hat ja wohl auch etwas damit zu tun!“, keifte Nyra.
„Ganz gewiss, Gnädigste, ganz gewiss!“ Stürmer machte kehrt und flog mit eingezogenem Kopf vor Nyra auf der Stelle.
„Für dich bin ich immer noch ,Herrin‘ oder ,Oberste Mutter‘!“
„Jawohl, Oberste Mutter.“
„Na also!“ Nyra entließ ihn mit knappem Nicken.
Ein einäugiger Unteroffizier namens Schieler landete auf dem Felsen zwischen seinem Vorgesetzten Uglamore und Nyra. „Hat jemand Schmuddel gesehen?“, fragte er.
Nyra wurde es ein bisschen flau im Magen. Sind sie etwa beide verschwunden … Nyroc und Schmuddel? „Hast du in den Schlafquartieren der Rußeulen nachgeschaut?“, fragte sie.
„Jawohl, Oberste Mutter“, erwiderte Schieler äußerst respektvoll. Er hatte mitbekommen, wie Nyra Stürmer zurechtgewiesen hatte.
„Habt Ihr nicht gesagt, dass Euer Sohn auf die Jagd geflogen ist, Herrin?“, fragte Uglamore.
„Ja, das dachte ich“, bestätigte Nyra. Ihr war jetzt nicht mehr nur flau im Magen, sondern speiübel. Wütend war sie auch. Sie dachte wieder daran, wie sonderbar sich Nyroc auf ihrem Abendflug benommen hatte. Entweder hatte er verbissen geschwiegen oder befremdliche Fragen gestellt. Hatte ihm jemand etwas über die Große Feier erzählt? Was sich beim Tytari abspielte, war streng geheim. Die jungen Eulen durften auf keinen Fall vorher davon erfahren. War Nyroc wirklich so ein mustergültiger Nachwuchstytone, wie es den Anschein hatte? Die anderen Jungeulen tuschelten oft, er sei zu gut, um wahr zu sein. Nyra hatte angenommen, sie seien bloß eifersüchtig. Hatten sie womöglich Recht? Verbarg sich hinter der tadellosen Fassade ein anderer Nyroc?
Nyras Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Wie kann er mir das antun?“, kreischte sie so gellend, dass es von den Felswänden widerhallte. „Mein Sohn ist ein flügelstarrer Schleimpupser! In unseren Adern fließt das gleiche Blut, aber er macht mir Schande!“ Ihr Zorngeschrei stieg zum Himmel empor, an dem die aufgehende Sonne rot leuchtete wie ein in Blut getauchtes Ei.
Der beste Kundschafter der Reinen war Stürmer. Er wurde sofort losgeschickt, um nach Gewöllen und anderen Spuren der beiden vermissten Eulen Ausschau zu halten.
Jetzt könnten wir eine Kundschafterbrigade gebrauchen, wie die Wächter eine haben , dachte Nyra.
Uglamore konnte offenbar Gedanken lesen, denn er sagte: „Wir können doch noch mehr Kundschafter ausschicken, Herrin.“
„Doktor Schönschnabel zum Beispiel?“
„Zum Beispiel.“
„Dann kümmere dich darum. Wenn ihr meinen Sohn findet, befördere ich dich, versprochen.“
Als Nyroc und Philipp am Rand einer Schlucht eine Zwischenlandung einlegten, entdeckten sie, dass sie verfolgt wurden.
„Ein Suchtrupp!“, sagte Philipp ungläubig. „Wir müssen sofort hier weg!“
Doch sie waren den ganzen Tag lang durchgeflogen und sehr erschöpft. Und die Nacht brach gerade erst an!
„Wie haben die uns bloß so schnell gefunden?“, fragte Nyroc. Er würde diese Frage noch öfter stellen.
„Wir hätten unsere Gewölle vergraben sollen. Ab jetzt wird beim Fliegen nichts mehr ausgespuckt!“, sagte Philipp streng und breitete die Flügel aus.
„Wo willst du hin, Philipp?“
„Runter!“
Nyroc spähte in die Tiefe. Auf dem Boden der Schlucht war es finster. Es sah nicht sehr einladend aus.
„Warum denn?“, fragte er.
„Erklär ich dir, wenn wir unten sind. Und gib auf die Klapperschlangen acht.“
Von Klapperschlangen hatte Nyroc schon gehört. Sie griffen
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