Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat
Vögel an, die ihre Beute auf dem Boden verzehrten. Die Schlangen tauchten wie aus dem Nichts auf, wickelten sich blitzschnell um die Beine ihrer Opfer und bohrten ihnen die Giftzähne in die Brust. Die Gebissenen starben eines qualvollen Todes. Mit den Krähen konnten wir verhandeln , dachte Nyroc. Klapperschlangen lassen sich bestimmt nicht auf so etwas ein.
Trotzdem folgte er seinem Freund.
„Bleib immer dicht an der Felswand“, raunte Philipp. „Schlag nicht mit den Flügeln und behalt deine Gewölle bei dir.“
„Was hast du vor?“, fragte Nyroc mit gedämpfter Stimme.
„Wir suchen uns einen verlassenen Bau.“
Nyroc begriff sofort. Auf dem Grund der Schlucht lebten alle möglichen Tiere, kleine und größere.
Sie trippelten los. Plötzlich hörten sie etwas über den Boden gleiten. Die beiden Eulen blieben wie angewurzelt stehen. Nicht einmal ihre Mägen regten sich mehr. Nyroc hatte noch nie eine Klapperschlange zischen hören, erkannte den Laut aber trotzdem auf Anhieb. Die Schlange musste ganz in ihrer Nähe sein. Nyroc und Philipp legten das Gefieder an und kniffen die Augen zusammen. Ein Auge hielten sie geschlossen, mit dem anderen lugten sie verstohlen umher. „Spähauge“ nannte man diese Technik.
Es war tatsächlich eine Klapperschlange. Sie glitt nur ein paar Fußbreit entfernt an ihnen vorbei. Wegfliegen konnten Nyroc und Philipp nicht, denn dann hätten die Verfolger sie entdeckt. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich tot zu stellen. Diese Methode hatte ihnen niemand beigebracht, die beherrschten sie instinktiv. Ihr geflecktes Gefieder war eine ideale Tarnung. Die beiden Eulen verschmolzen förmlich mit dem graubraunen Gestein.
Als Nyroc und Philipp die Augen wieder öffneten, kam es ihnen vor, als seien Stunden vergangen. Die Schlange war verschwunden. Sie setzten die Suche nach einem Versteck fort. Dabei drückten sie sich noch dichter an die Felswände, denn über ihnen stand nun der fast volle Mond und ergoss sein silbernes Licht auf den Grund der Schlucht. Es wurde ungemütlich kalt. Erst nach einer knappen Stunde hatten sie endlich einen verlassenen Bau gefunden.
Philipp wagte sich als Erster in die Felshöhle hinein. Nyroc tappte hinterher. Sie warteten ab, bis sich ihre Augen auf die Dunkelheit eingestellt hatten.
Dann entdeckte Philipp ein rötliches Fellbüschel auf dem Boden. „Hier haben Füchse gewohnt“, sagte er. „Wahrscheinlich war das hier eine Wurfhöhle.“
„Was für eine Höhle?“
„Füchse haben die Angewohnheit, verschiedene Höhlen für verschiedene Zwecke zu nutzen. Wenn die Weibchen in der Wurfzeit ihre Jungen bekommen, ziehen sie sich in einen abgelegenen Bau zurück.“
„Ist jetzt gerade Wurfzeit?“, fragte Nyroc ängstlich.
„Zum Glück nicht. Wir haben nichts zu befürchten. Dieser Bau ist leer.“
Nyroc sagte bewundernd: „Du bist so klug und weißt so viel, Philipp! Ich bin froh, dass du bei mir bist.“
„Das liegt nur daran, dass ich älter bin als du. Ich bin einfach schon mehr herumgekommen. Mit Klugheit hat das nichts zu tun. Und du – du lernst jeden Tag dazu. Denk nur an die Krähen! Bist du früher schon mal von Krähen angegriffen worden?“
„Nein.“
„Hattest du überhaupt schon jemals eine Krähe zu Gesicht bekommen?“
„Nein.“
„Woher wusstest du dann, wie man mit den Burschen umgehen muss? Wie bist du auf die Idee gekommen, ihnen eine Ratte anzubieten und als Gegenleistung freies Geleit zu fordern?“
„Weiß nicht. Ich habe nachgedacht und dann ist es mir eingefallen.“
„Siehst du – das nenne ich Klugheit! Alles andere ist einfach nur Erfahrung.“
„Erzähl mir von deinen Erfahrungen, Philipp“, bat Nyroc seinen Freund.
„Wo bist du denn schon überall herumgekommen? Ich kenne ja nur das kahle Gebirge, in dem ich aufgewachsen bin. Ich habe noch nie einen lebendigen Baum gesehen. Bitte erzähl mir, was du schon alles erlebt und gesehen hast.“
Philipps Augen bekamen einen versonnenen Ausdruck. „Ich habe einen Rotfuchs im Schnee gesehen und sein leuchtendes Fell war ein unvergesslicher Anblick. Ich habe gesehen, wie ein Adler einen Wolf getötet hat.“ Nyroc machte große Augen. „Ich habe gesehen, wie ein Bärenjunges von einem reißenden Fluss davongetragen wurde. Die Bärenmutter stand am Ufer. Sie weinte und verfluchte das Wasser, mit dem sie nur ihren Durst hatte löschen wollen. Ich habe gesehen, wie eine Fuchsfähe mit ihren Welpen eine Wurfhöhle wie diese verlassen hat.
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