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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Die Erlaubnis wurde ihm erteilt, weil in der Brüterei und im Eiersaal immer noch mehr Arbeiter gebraucht wurden. Und so machten sich die beiden Freunde zu dem Felsvorsprung auf, wo Hortense an diesem Abend ein Gelege aus mindestens acht Eiern bebrütete.
    „Puh!“, machte Soren. „Ganz schön steil.“
    Gylfie hüpfte neben ihm her. „Ach, daran gewöhnt man sich. Du weißt noch, was wir besprochen haben? Du fängst an.“
    Es war Soren gewesen, dem eingefallen war, womit sie am besten anfingen, mit einem ganz bestimmten Wort nämlich. Mit einem Namen. Dem Namen „Hortense“. Der Rest war einfach.
    Sie näherten sich dem Felsvorsprung. Hier oben blies ein kräftiger Wind. Tatsächlich war es das erste Mal, dass Soren seit seiner Ankunft im Sankt Äggie wieder den Wind spürte. Silbergraue Wolken jagten über den Himmel. Hier gehörte eine richtige Eule hin: Hoch oben in den Wind, zum Himmel und zu den funkelnden Sternen! Soren fühlte sich neu belebt und schöpfte Mut.
    „Seid mir in meiner bescheidenen Bleibe willkommen, 25-2 und 12-1.“
    Soren ließ das Moos, das er im Schnabel trug, in das Nest fallen, und Hortense fing an, es zu verteilen. „Hortense!“
    Hortense hob blinzelnd den Kopf. Ihre gelben Augen waren mondwirr getrübt.
    „Deine Bleibe ist nicht bescheiden, Hortense, sie ist einer Eule angemessen: hoch oben, vom Wind umbraust, dicht unter dem Himmel, am Pulsschlag der Nacht.“
    Großartig, dachte Gylfie. Soren wusste vielleicht nicht, was eine Meuterei war, aber reden konnte er!
    „Du bist nämlich eine Eule, Hortense, und zwar eine Fleckenkäuzin.“
    „Ich bin Nummer 12-8.“
    „Nei n – du bist Hortense!“, erwiderte Soren unerschütterlich und das war Gylfies Stichwort.
    „Red keine Waschbärkacke, Hortense! Du bist Hortense. Als ich dich letztens beobachtet habe, hast du dich gar nicht benommen wie Nummer 12-8, sondern wie Hortense, die mutige, erfinderische Fleckenkäuzin. Ich habe dich dabei beobachtet, wie du ein Ei aus deinem Gelege einem Adler übergeben hast.“
    Daraufhin blinzelte Hortense abermals und die Trübung verschwand aus ihrem Blick, verflüchtigte sich wie Nebel an einem sonnigen Morgen. „Du hast mich dabei beobachtet?“
    „Ja“, bestätigte Gylfie in freundlichem Ton. „Du bist genauso wenig mondwirr wie mein Freund und ich, Hortense.“
    „Ich hatte euch beide schon im Verdacht“, erwiderte Hortense leise.
    Ihr Blick war jetzt hellwach, ja, Soren fand auf einmal, dass er noch nie so schöne Eulenaugen gesehen hatte. Sie waren dunkelbraun wie der stille Waldsee, den er vom elterlichen Nest aus hatte erspähen können, nur dass Hortenses Augen lebhaft funkelten. Ihr Kopfgefieder war weiß gesprenkelt, das übrige Gefieder hell- und dunkelbraun gefärbt und mit weißen Flecken übersät wie mit kleinen Sternen.
    „Also, wir hatten dich nie im Verdacht“, entgegnete Soren. „Jedenfalls nicht bis zu der Nacht, als Gylfie dich beobachtet hat.“
    „Gibt es hier noch andere Eulen, die nicht mondwirr sind?“, ergriff Gylfie wieder das Wort.
    „Nein, ich glaube, wir drei sind die Einzigen.“
    „Wie bist du eigentlich hierhergekommen? Und wie hast du es geschafft, nicht mondwirr zu werden?“, fragte Soren neugierig.
    „Wie ich hergekommen bin? Das ist eine lange Geschichte. Und wie ich es geschafft habe, nicht mondwirr zu werden, weiß ich selbst nicht rech t … Wo ich herkomme, gibt es einen Fluss, und dieser Fluss führt unzählige von den Tupfen mit sich, die hier die Zupfer aus den Gewöllen holen.“
    „Was hat es eigentlich mit den Tupfen auf sich?“, hakte Gylfie rasch nach.
    „Auch das weiß ich nicht genau. Man findet sie in Felsen, in der Erde und im Wasser. Eigentlich überall, aber in unserem Teil des Königreichs Ambala kommen sie in Bächen und Flüssen besonders häufig vor. Das ist zugleich ein Segen und ein Fluch. Manche Eulen meines Volkes verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten und das kommt von den Tupfen. Bei anderen leidet aber der Orientierungssinn beim Fliegen. Eine meiner Großmütter hat den Verstand verloren, aber vorher hat sie noch meinen Vater ausgebrütet, und der konnte durch Felswände hindurchsehen.“
    „Ausgeschlossen!“
    „Doch, es stimmt. Mein Bruder wiederum ist schon in früher Kindheit erblindet. Man weiß nie, was die Tupfen bewirken. In meinem Fall könnte es sein, dass sie mich gegen den vollen Schein unempfindlich machen, sodass ich nicht mondwirr geworden bin. Aber ihr wolltet ja wissen, wie

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