Die Legende der Wächter 11: Das Königreich (German Edition)
herbeibrachten.
„Dann erzähl doch mal“, sagte Shadyk. „Bist du den Glaux-Brüdern beigetreten? Die fandest du doch immer so toll.“ Er blickte auffordernd um sich. Die anderen Anwesenden brachen in verächtliches Gelächter aus. Gelehrsamkeit stand bei ihnen offenbar nicht hoch im Kurs.
Theo überlegte kurz und antwortete dann: „Das siehst du ganz richtig. Ich habe mich dem Lernen gewidmet. Und ich werde tatsächlich demnächst das Gelübde abzulegen.“ Das ist nicht gelogen. Ich meine zwar nicht das Schweigegelübde der Glaux-Brüder, sondern das Gelübde der Wächter von Ga’Hoole, aber das brauchen sie ja nicht zu wissen. Auch nicht, dass ich dem rechtmäßigen Thronerben Gefolgschaft geschworen habe.
Theo musste sich schwer beherrschen, um ruhig zu bleiben. Ich bin eine friedliebende Eule, aber wenn ich das hier sehe, könnte ich glatt zum Krieger werden!
„Wir hier im Palast haben Wichtigeres zu tun, als unsere Schnäbel in Büchern zu vergraben. In Zeiten wie diesen ist Lernen überflüssiger Luxus, stimmt’s?“ Beim Sprechen drehte Shadyk den Kopf ruckartig hin und her und suchte die zustimmenden Blicke der Anwesenden. Nur dem Blick seines Bruders wich er aus.
Was ist bloß mit ihm los? , dachte Theo. Warum benimmt er sich so merkwürdig? Er redet auch ganz komisch. Er zieht die Wörter übertrieben in die Länge. Und sein Blick ist unsicher und überheblich zugleich. Mein Bruder ist geisteskrank. Aber außer mir scheint das niemand zu merken. Unsere Mutter nicht, Wyg nicht und auch nicht die vier Kauzweibchen, die um Shadyk herumscharwenzeln. Wie hat er es angestellt, dass alle diese Eulen auf seinen Befehl hören? Fällt denn niemandem auf, dass der Palast kurz vor dem Zusammenbrechen steht? Sind etwa die Dämonen, die sich ins Freie geflüchtet haben, als Einzige hier noch bei Verstand?
Eine Fleckenkäuzin brachte dem König eine saftige Eisratte. Sie näherte sich Shadyk mit unterwürfig gesenktem Kopf und kleinen Trippelschritten. Aber in ihren niedergeschlagenen braunen Augen sah Theo es golden blitzen. Die Fleckenkäuzin durchschaute das ganze Theater, das Shadyk veranstaltete. Theo erkannte sie: Es war Emerilla, die Tochter von Strix Strumajen und Strix Hurthwell.
Krieth befestigte die Feder von Emerillas Vater sorgfältig auf Lottas Rücken.
„Es reicht nicht, dass du wie irgendeine Fleckenkäuzin daherkommst. Du musst Emerilla zum Verwechseln ähnlich sehen. Mit Hilfe dieser Feder wirst du gewissermaßen zu ihr. Den Wu-hu-hoo -Ruf der Fleckenkäuze beherrscht du ja bereits. Wenn du eine Wende fliegst, klappst du wie ein Fleckenkauz die Federfransen um. Das machst du sehr geschickt. Du denkst sogar schon wie eine Fleckenkäuzin. Du musst nur noch lernen, wie Emerilla zu denken. Deine Halb-Hägs haben uns gemeldet, dass der junge Eulenkönig nach ihr sucht. Wenn es dir gelingt, ihn zu täuschen, ist die magische Glut endlich mein!
Ich erkläre dir jetzt etwas sehr Wichtiges. Hör gut zu: Bei uns Dämonen ist der Muskelmagen, in dem bei Eulen die stärksten Gefühle sitzen, nicht richtig ausgebildet. Nach deiner Verwandlung jedoch wirst du ein Organ besitzen, das einem echten Muskelmagen sehr ähnlich ist. Allerdings ist so ein Muskelmagen nichts Erstrebenswertes. Die ganzen Gefühle lenken nur ab. Dämonenmägen sind viel zweckmäßiger. Sie verdauen das Futter und Schluss.“
„Was sind Gefühle?“, fragte Lotta.
„Gefühle sind kindische Regungen, die einen vom Handeln abhalten.“ Krieth blickte Lotta durchbohrend an. „Der schwierigste Teil deiner Aufgabe wird sein, dass du dich wie eine magengesteuerte Eule verhalten musst. Gleichzeitig darfst du dich auf keinen Fall von deinem Magen leiten lassen. So ein Magen kann alles vermasseln! Hast du das verstanden?“
„Ja, Tantchen.“
„Du musst immer auf der Hut vor Gefühlen sein, sonst ist dein Auftrag in Gefahr.“
„Versprochen.“
Lotta merkte, wie sich in ihrem Inneren etwas regte – ein sonderbares Ziehen. Sie spürte ihren neuen Magen. Es war nicht unangenehm. Im Gegenteil, sie hatte den Eindruck, zum ersten Mal in ihrem Leben … ja, was eigentlich? Es dauerte eine Weile, bis ihr das passende Wort einfiel: … vollständig zu sein.
Seit Krieth zum ersten Mal von der Glut gehört hatte, hatte sie keine Ruhe mehr gefunden. Lottas Halb-Hägs hatten ihr wichtige Hinweise geliefert. Aber das genügte nicht. Sie musste wissen, was in diesem Hoole vorging. Dem jungen Eulerich standen mächtige Zauberkräfte
Weitere Kostenlose Bücher