Die Legende der Wächter 11: Das Königreich (German Edition)
Dämonin hat sogar ihr eigenes Heer gegründet. Ullrika heißt sie, glaube ich.“
Sie redet, als ob ihr das alles völlig egal ist. Als ob es keine Rolle spielt, wer für welche Ziele kämpft oder wer sich mit wem verbündet.
Der Palast kam in Sicht. Theo wurde es flau im Magen. Auf sämtlichen Türmen und Dächern hockten Dämonen. Ihre struppigen Flügel zeichneten sich schwarz vor dem gleißenden Eis ab. Philma stieß den typischen Uhuruf aus: Auf vier lang gezogene Huuuu … folgten zwei kurze Hu! Nach einer Pause ließ sie drei weitere Hu! folgen.
„Das ist unser vereinbartes Zeichen“, erklärte sie. „Alle wissen, dass ich Shadyks Mama bin. Du wirst staunen, wie wir empfangen werden! Wir sind jetzt hochgestellte Persönlichkeiten. Ich bin sozusagen die Königinmutter.“
„Nennt sich Shadyk denn ‚König‘?“
„Noch nicht, aber bald. Die Krönungsfeier ist schon in Vorbereitung.“
Das ist doch alles der reinste Wahnsinn. Wie hat Shadyk es überhaupt fertiggebracht, dass ihn alle als ihren Anführer anerkannt haben? Theo wollte seine Mutter eben danach fragen, als Philma ausrief: „Beim Glaux – heute sind aber viele Dämonen draußen! Warte nur, bis du den hinreißenden Thronsaal siehst. Shadyk sitzt auf dem Thron der Könige von H’rathgar!“
Sie flogen in den Palast ein. Philma kannte den Weg zum Thronsaal. Theo war auf den ersten Blick klar, weshalb sich die Dämonen lieber draußen aufhielten. Der einst so prunkvolle Palast bröckelte vor sich hin. Das Eis ist morsch! Theo hatte immer gedacht, das sei nur eine Redensart, aber der Zustand von Böden und Wänden erinnerte tatsächlich an morsches Holz. Alles war aufgeweicht und durchlöchert.
Sie kamen in einen riesigen Saal. Shadyk hockte auf dem Thron und blickte ihnen entgegen. Er war immer noch ziemlich klein, fand Theo. Sein Gefieder war ungepflegt, als wäre es ewig nicht mehr geputzt worden. Dabei saßen vier Eulenweibchen um ihn herum – eine Sperlingskäuzin und drei Elfenkäuzinnen – und waren damit beschäftigt, ihm Schmutz und Ungeziefer aus dem Gefieder und den Ohrschlitzen zu picken.
„Hallo, Mama“, sagte Shadyk.
„Hallo, mein Liebling. Schau mal, wen ich mitgebracht habe.“
Shadyk erwiderte scharf: „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich mit ‚General Scharfkralle‘ anzureden hast! Guten Abend, Bruder. Wir haben uns lange nicht gesehen. Bestimmt bist du jetzt ein Gelehrter.“
Shadyk drehte sich zu den anderen Eulen um, die im Saal versammelt waren. „Mein Bruder Theo hat es nicht so mit dem Kämpfen.“ Missbilligendes Raunen erhob sich.
Shadyk flatterte auf und landete vor den Ankömmlingen, sodass Theo den berühmten Thron in seiner ganzen Pracht bestaunen konnte. Wind und Wetter hatten ihn so geformt, dass er einem Baum glich. Aus dem Stamm ragten Äste, auf denen das Königspaar und seine Kinder Platz nehmen konnten. Allerdings waren die meisten Äste abgebrochen. Der Thron konnte gerade noch das Gewicht von Shadyk und den vier winzigen Kauzweibchen tragen. Theo trat näher heran.
„Halt!“ Shadyk breitete die Flügel aus.
„Guten Abend“, sagte Theo. Als Shadyk sich drohend aufplusterte, setzte er hinzu: „… General Scharfkralle.“
Theo begriff, dass sein Bruder seine Herkunft und alles, was damit zusammenhing, entweder vergessen hatte oder bewusst verleugnete. Shadyk wollte sich nicht mehr daran erinnern, wie oft ihn sein großer Bruder beschützt hatte. Er hatte verdrängt, wie liebevoll Theo ihn nach den Wutanfällen des Vaters getröstet und seine Wunden versorgt hatte. Das konnte Theo ja noch einigermaßen verstehen. Aber das irre Funkeln in Shadyks Augen machte ihm Angst.
„Ist es nicht einfach hinreißend hier?“, raunte Philma ihm zu. Wenn sie noch einmal ‚hinreißend‘ sagt, spucke ich ihr ein Gewölle vor die Füße! „Shadyk ist kaum wiederzuerkennen, nicht wahr?“
Shadyk wandte sich an die Kauzweibchen. „Meine Familie und ich begeben uns in den Bankettsaal. Kommt doch mit, meine Süßen.“ Die Käuzinnen flatterten freudig auf.
Im Bankettsaal erwartete sie ein heilloses Durcheinander. Offenbar machte sich niemand die Mühe, Ordnung zu schaffen. Überall lagen die Reste vergangener Mahlzeiten herum: angefressene Lemminge, Schneehörnchen und Eisratten. Das schmelzende Eis war mit blutigen Pfützen übersät. Theo war eigentlich hungrig, aber bei diesem Anblick verging ihm der Appetit. Da half es auch nichts, dass Bedienstete frische Beute
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