Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

Titel: Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
Vom Netzwerk:
gewesen. Sie war gegen die Wand gekracht und hatte sich einen Augenblick lang nicht mehr rühren können. Diesen Augenblick hatten Soren und Gylfie zur Flucht genutzt. Die Schnabelberge und die Spiegelseen schienen eine ähnlich starke Anziehungskraft auszuüben. Soren wunderte sich, wie ein bloßer Traum so unwiderstehlich sein konnte. Der dunkelgrüne Wasserlauf unter ihnen war dagegen durch und durch wirklich, sie brauchten ihm einfach nur zu folgen.
    Sie waren nun schon eine ganze Weile unterwegs, flogen in zügigem Tempo. Mit jedem Flügelschlag spürten sie deutlicher, dass sie auf dem richtigen Kurs waren. In ihren Muskelmägen kribbelte die Vorfreude. Soren dachte erleichtert daran, dass er sich immer weiter vom Sankt-Ägolius-Internat entfernte. Wie konnte man dieses Gefängnis bloß als Lehranstalt bezeichnen? Dort lernte man überhaupt nichts! Im Gegenteil, es galt als schwerer Verstoß gegen die Vorschriften, Fragen zu stellen. Wer eine Frage stellte, hatte mit den grausamsten, blutigsten Strafen zu rechnen. W-Wörter, Fragewörter wie Was, Wann, Warum waren strengstens verboten. Einmal hatten die Aufseher Soren alle seine neu gesprossenen Federn ausgerupft und ihn mit blutenden Flügeln liegen lassen, bloß weil er eine Frage gestellt hatte. Wissbegier wurde dort nicht geduldet.
    Bald darauf fing es wieder zu schneien an. Die Sterne verschwammen zu hellen Schlieren, der Mond bekam einen ausgefransten Saum und der dunkelgrüne Wasserlauf war kaum noch zu erkennen. Wir dürfen die Strömung auf keinen Fall aus den Augen verlieren!, dachte Soren.
    „Erklärt mir mal bitte, wie wir die Insel bei diesem Wetter finden sollen“, sagte Digger. „Unter uns ist alles Weiß in Weiß.“
    „Wo ist die Strömung geblieben? Ich sehe sie nicht mehr!“, rief Gylfie zu ihnen herüber.
    Soren spürte, wie sich Mr s Plithiver auf seinem Rücken unruhig hin und her schlängelte. So nah und doch so fern! Soren kam es vor, als wären die Insel und der Große Ga’Hoole-Baum für sie so unerreichbar wie der Himme l – der Ferne, für Mr s Plithiver.
    Das Fliegen wurde immer anstrengender. Die jungen Eulen waren es gewohnt, auf ihren Nachtflügen die Pupillen so stark zu erweitern, dass sie beinahe das ganze Auge ausfüllten. Bei diesem Schneetreiben jedoch mussten sie die Augen zukneifen. Es war strahlend hell, aber ganz anders als bei Tag. Wasser und Land, alles war von einem trüben Grau. Flogen sie überhaupt noch über Wasser? Lag die Insel Hoole womöglich schon unter ihnen? Oder hatte sie der Wind wieder vom Kurs abgetrieben?
    Soren fiel ein, was Mr s Plithiver gesagt hatte: Man muss mit dem ganzen Körper sehen. Sie flogen wieder einmal in einer engen Keilformation. Morgengrau führte sie an und Soren stellte fest, dass seine eigene Position auf der Seite des „V“ ungünstig war. Hier konnte er seine ungleich am Kopf sitzenden Ohren und sein feines Gehör nicht richtig einsetzen.
    „Lass mich an die Spitze, Morgengrau! Dort kann ich besser hören.“
    Morgengrau wurde langsamer und Soren flog rasch an ihm vorbei. „Festhalten, Mr s P.! Ich muss den Kopf drehen.“
    Eulen haben keine Hälse wie andere Vögel. Dank zusätzlicher Halswirbel können sie mit dem Kopf Bewegungen ausführen, die anderen Vögeln nicht möglich sind. Eine Eule kann den Kopf so abknicken, dass sie mit dem Scheitel die Schulter berührt, und den Kopf so weit herumdrehen, dass es aussieht, als säße er verkehrt herum auf den Schultern. „Hallo!“, begrüßte Soren Mr s P., die sich nunmehr unter seinem Schnabel befand. „Wollte mich bloß mal umschauen.“
    Als Soren den Kopf eine Weile hin und her gedreht hatte, fiel ihm etwas auf. Er wusste selbst nicht recht, was, aber etwas war anders als vorher. „Erinnerst du dich noch an das Kojotenlied, das du uns neulich vorgesungen hast, Digger?“
    „Na klar.“
    „Sing es bitte noch mal, und zwar mit dem Schnabel nach unten.“
    „Ist schwer zu sagen, wo heute Nacht oben und unten ist.“
    Das stimmte. Um sie herum war dichtes Schneetreiben. Doch jetzt sang Digger unverdrossen mit seiner heiseren Höhlenkauzstimme drauflos. Soren ließ den Kopf bedächtig von einer Seite zur anderen pendeln, dann verkündete er: „Ich würde sagen, wir fliegen immer noch über Wasser.“ Als ihnen Digger das Lied zum ersten Mal vorgesungen hatte, hatten die Baumkronen unter ihnen den Schall geschluckt. Diesmal hallten die Töne viel deutlicher durch die Nacht.
    Schließlich legte sich der Wind und

Weitere Kostenlose Bücher