Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft
Astgabelungen mit besonders dicken Ästen. Die Eingänge waren so groß, dass die Eulen sowohl drinnen auf eigens angebrachten Hochsitzen Platz nehmen, sich aber auch draußen auf dem Ast niederlassen konnten.
„Ich will nicht, dass ihr uns im Weg herumsteht. Wir erwarten Verwundete und ich muss mich darum kümmern, dass sie versorgt werden“, verkündete Matrona. Sie flogen gerade durch die Baumkrone nach oben zu der Höhle, in der sie wohnen sollten.
„Matrona, wir brauchen noch mehr Moos und Dunen! Die Rettungsbrigade ist im Anflug und bringt noch zwei Küken. Nestschaden.“ Eine zweite Sumpfohreule flog an ihnen vorbei. In den Fängen trug sie ein flauschiges Bündel.
„Oj e … die armen Kleinen!“, sagte Matrona mitfühlend.
„Was bedeutet ,Nestschaden‘?“, fragte Soren.
„Dass ein Nest unbewohnbar wird, zum Beispiel durch ein Unwetter“, erklärte Matrona.
Als sie nun auf einem Ast auf halber Höhe des Baumes landeten, gesellte sich eine junge Fleckenkäuzin zu ihnen.
„Dich schickt der Himmel, Otulissa. Kannst du bitte den Neuzugängen die Höhle zeigen, die wir gestern hergerichtet haben?“
„Sehr wohl, Matrona.“
„Und schau doch mal nach, ob Mr s Cook noch Tee oder Kuchen übrig hat. Die vier sehen halb verhungert aus.“
„Sehr wohl.“
Die Fleckenkäuzin namens Otulissa brachte sie das letzte Stück zu ihrer Höhle.
„Was ist hier eigentlich los?“, erkundigte sich Morgengrau.
„Ach, an der Grenze gab es ein Scharmützel. Nichts allzu Ernstes.“
„Sind zufällig die Eulen von Sankt Ägolius darin verwickelt?“, fragte Soren. „Mit dem Sankt Äggie kennen Gylfie und ich uns nämlich aus. Wir sind von dort geflohen.“ Otulissa blinzelte nur.
„Und wir haben in der Wüste zwei hochrangige Leutnants abgemurkst, weil sie Digger an den Kragen wollten. Wir haben also Kampferfahrung!“, setzte Morgengrau stolz hinzu. Otulissa blinzelte noch einmal. „Wir sind doch hier richtig im Großen Ga’Hoole-Baum, oder?“
„Dessen Bewohner Nacht für Nacht ausfliegen und Gutes tun“, ergänzte Soren leise. In seinem Muskelmagen regte sich ein undeutliches Gefüh l – nicht direkt Zweifel, aber auch nicht Gewissheit. „Das ist doch hier?“ Seine Stimme schwankte.
Endlich machte die Fleckenkäuzin wieder den Schnabel auf. „Selbstverständlich!“
„Dann her mit den Kampfkrallen! Wir wollen auch mitmachen!“ Morgengrau stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf.
Otulissa erwiderte entrüstet: „Ihr wollt mitkämpfen? Ihr glaubt, bloß weil ihr aus dem Sankt Äggie entkommen seid und zwei rattenhirnige Eulen getötet habt, könnt ihr einfach so mitmachen?“
„Zwei Eulen und einen Luchs“, setzte Soren der Vollständigkeit halber hinzu.
„Und Krähen!“, kiekste Digger. „Na gut, die haben wir nicht getötet, aber wir haben sie vertrieben!“
Gylfie hatte sich bis jetzt herausgehalten. Nun jedoch trat die zierliche Elfenkäuzin vor. „Willst du damit sagen, dass wi r … noch nicht so weit sind?“
„Du hast es erfasst. In der Wüste zwei niederträchtigen Eulen den Garaus zu machen, ist mitnichten eine besonders ruhmreiche Tat.“ Die Fleckenkäuzin richtete sich hoch auf, reckte den Schnabel in die Luft und blinzelte auf Gylfie herunter. „Kampferfahrung kann man das nicht nennen, und von Taktik habt ihr bestimmt auch keine Ahnung. Wahrscheinlich seid ihr auch noch nie mit Kampfkrallen geflogen. Ich bin schon wesentlich länger hier als ihr und wurde trotzdem noch nicht aufgefordert, einer Brigade beizutreten.“
„Was ist eine Brigade?“, kam es von Soren.
„Eine Brigade ist eine kleine Schar von Eulen, die alle über eine bestimmte Fähigkeit oder Fertigkeit verfügen.“
„Fähigkeiten im Kampf?“, fragte Morgengrau.
„Nicht nur im Kamp f … im Leben allgemein. Das Leben besteht nämlich nicht nur aus Kämpfen. Jede Brigade hat ihre eigen e … wie soll ich es sagen? Ihren eigenen Charakter. Die Mitglieder der Navigationsbrigade beispielsweise sind allesamt hervorragende Flieger. Sie fliegen mit einer gewissen Eleganz, an der es den Mitgliedern der Rettungsbrigade mangelt, obwohl auch diese Eulen natürlich gute Flieger sind. Die Mitglieder der Wetterbrigade und die Glutsammler dagegen sind für gewöhnlich raue, ungehobelte Burschen. Trotzde m …“, die Fleckenkäuzin richtete den Blick eindringlich auf Morgengrau, „ … trotzdem sind sie alle miteinander mutig und unerschrocken und setzen jederzeit ihr Leben aufs Spiel!“
Diese
Weitere Kostenlose Bücher