Die Legende der Wächter 4: Die Belagerung
kann. Eure Aufgabe ist es nun, aus den Ranken ein riesiges Netz herzustellen.“
„Ich bin doch keine Spinne!“, protestierte Morgengrau mit gedämpfter Stimme.
„Sei still!“, zischelte Soren.
„Wir haben einige Nesthälterinnen aus den Gilden der Weberinnen, Spitzenklöpplerinnen und Harfenspielerinnen abkommandiert. Die Blindschlangen werden uns beim Weben anleiten.“
„Hä?“ Morgengrau war fassungslos. „Eine Nesthälterin bin ich schon mal gar nicht!“
„Ach nee.“ Gylfie versetzte ihm einen Tritt. „Keine Sorge, ich kann dir bestätigen, dass du ein großer, starker Eulerich bist. Und jetzt werd endlich erwachsen! Im Krieg geht es nicht nur ums Blutvergießen!“
„Trotzde m – es ist doch wohl nicht dein Ernst, dass mir eine Nesthälterin das Weben beibringen soll!“
Die Nesthälterinnen im Großen Baum gehörten je nach Begabung verschiedenen Gilden an. Mr s Plithiver, die ehemalige Nesthälterin von Sorens Eltern, war zum Beispiel sehr musikalisch. Sie war in die angesehenste Gilde aufgenommen worden, die Gilde der Harfenspielerinnen. Mr s P. schlängelte sich durch die aus Grashalmen geknüpften Saiten der großen Harfe im Baum und begleitete Madame Plonk. Die Lieder der Sängerin markierten wichtige Tagesabschnitte.
„Wir haben übrigens schon angefangen“, verkündete Huckmore. „Wenn die Fallen fertig sind, verteilen wir sie strategisch über die Insel.“
Die Fallensteller-Einheit folgte dem Oberst zu einer Gruppe hoher, kahler Bäume, die nur wenige Äste hatten. Die Stämme dienten als Webrahmen. Die Längsranken waren bereits gespannt, und unten am Boden hatte eine Schar Nesthälterinnen schon angefangen, die Querranken hindurchzuweben. Mr s Plithiver führte die Aufsicht.
„Achtung!“, rief sie jetzt laut. „Der Oberst ist da!“ Sie rollte sich zusammen, richtete den Oberkörper auf und tippte salutierend mit der Schwanzspitze an den Hinterkopf.
„Rühren, Mr s Plithiver“, sagte Huckmore freundlich. „Wie ich sehe, macht Ihre Truppe großartige Fortschritte.“
„Jawohl, Herr Oberst. Wir haben schon ein ganzes Stück von unten hochgewebt. Wenn uns Ihre Eulen von oben entgegenkommen, müssten wir eigentlich fertig sein, bevor die Goldenen Krallen aufgehen.“
Mr s Plithiver war blind und hatte das winterliche Sternbild der Goldenen Krallen nie gesehen. Es hieß allerdings, dass Nesthälterinnen besonders feinfühlig waren und selbst kleinste Luftdruckänderungen, ja sogar den Lauf der Gestirne wahrnahmen.
Die Eulen hatten bald begriffen, wie man mit den Ranken im Schnabel zwischen den Längsranken hin und her fliegen musste. Soren hätte die Arbeit richtig Spaß gemacht, wäre der Anlass nicht so betrüblich gewesen. Er freute sich trotzdem über die Zusammenarbeit mit Mr s P. Sonst waren ihre Dienstpläne so verschieden, dass sie einander leider nur äußerst selten begegneten.
„Du machst das großartig, Soren. Du bist ein echtes Talent“, lobte ihn die Blindschlange. „Gylfie, mein Schatz, bitte zieh deine Ranke noch einmal straff.“ Die alte Nesthälterin hielt inne und reckte den Kopf. „Da kommt Wamm e – oh weh!“
Auch Soren hatte die Ga’Hoolologie-Ryb entdeckt. Wamme flog zu Huckmore hoch, der von einer benachbarten Birke aus die Arbeiten überwachte. Jetzt schüttelte der Bartkauz abwehrend den Kopf.
Gylfie flog mit einer Ranke in den Krallen zu Soren hinüber. „Was ist da los?“, fragte sie leise.
„Keine Ahnung. Aber seit uns Otulissa von ihrem Feuersteindienst erzählt hat, ist mir Wamme irgendwie unheimlich. Ich hab sowieso gleich Pause“, fuhr Soren fort. „Ich fliege mal hinter den Baum da drüben und spitze die Ohren.“
„Kannst du die beiden denn von dort aus verstehen?“, fragte die Elfenkäuzin zweifelnd.
Soren warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
„Verzeihung, du bist ja eine Schleiereule.“ Schleiereulen waren für ihr außerordentlich feines Gehör bekannt.
„Jetzt mach dir doch nicht solche Sorgen wegen der Ranken, Wamme“, sagte Huckmore gerade. „Wir haben Krieg. Da muss man auch mal Opfer bringen, wie Ezylryb gesagt hat. Es wird dem Baum schon nicht schaden. Natürlich können wir dann weniger Beeren für den Winter ernten, aber unsere Vorratskammern sind gut gefüllt und in der weißen Zeit schmecken die Beeren sowieso bitter.“
„Trotzde m … ich bin nun mal für die Pflege des Baums zuständig. Es tut mir richtig weh, wenn ich mit ansehen muss, wie er seiner Ranken beraubt wird.“
„Hast du
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