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Die Legende der Wächter – Der Zauber

Die Legende der Wächter – Der Zauber

Titel: Die Legende der Wächter – Der Zauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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sondern um tatsächlich vorhandene Steingebilde. Ich flog sofort zu unserem vereinbarten Treffpunkt zurück.
    Als ich zusammen mit den anderen an die Stelle zurückkehrte, war der Dunst so dicht, dass man gar nichts mehr sah. Er hing wie ein undurchdringlicherVorhang über dem Tal. Die anderen dachten schon, ich hätte einen Magentraum gehabt. Da riss eine Windbö den Vorhang auf und vier hohe, schlanke Steingipfel zeichneten sich vor dem Nachthimmel ab. Und dann hörte Soren die Glocke läuten.“
    „Eine Glocke!“, rief Coryn aus. Das klang alles so schön und geheimnisvoll. „Was für eine Glocke?“
    „ Ich dachte ja erst, es sei Waffengeklirr“, warf Morgengrau ein.
    „Auf so eine Idee kannst auch nur du kommen“, sagte Digger seufzend.
    „Aber es war eine Glocke?“, vergewisserte sich Coryn. „Eine Glocke, die läutete?“
    „Sozusagen“, erwiderte Soren.
    Coryn überlief es kalt. Bestimmt geht es gleich um Geisterschnäbel!
    „Wir waren in einer Föhre ganz in der Nähe eines Steingipfels gelandet“, fuhr die Elfenkäuzin fort. „Ich brauchte ungefähr drei Sekunden, dann erkannte ich die Stimme eines Raufußkauzes. Der Ruf dieser Eulenart erinnert ja oft an melodisches Glockengeläut. Die Raufußkäuze glauben, wenn einer der Ihren unter dem Klöppel einer Glocke sein Leben aushaucht, dann entschwebt sein Geisterschnabel geradewegs nach Glaumora. So hatte es uns jedenfalls der alte Grimbel erzählt.“
    „Heißt das, ein sterbender Kauz hat das Läuten hervorgebracht?“, fragte Coryn erschrocken.
    „Das nicht“, antwortete Gylfie, „aber es klang unendlich traurig.“ Ein leises Beben überlief ihre Flügel.
    „Traurig und verzweifelt“, ergänzte Soren. „Wir beschlossen, zu ihr zu fliegen.“
    „Zu ihr ?“, fragte Coryn. „War es denn eine Sie?“
    „Da waren wir ziemlich sicher. Wir verließen die Föhre und flogen zu dem Turm hinüber, aus dem das Läuten herüberdrang. Je näher wir kamen, desto lauter wurden die Klänge – ein klagendes und zugleich liebliches Lied, wie wir noch keines gehört hatten.
    Als wir auf dem Fenstersims landeten, bot sich uns ein seltsamer Anblick. Die Klänge kamen aus der riesigen Glocke, die in dem Turm hing, und wurden von Flügelschlägen untermalt. Auf dem Boden unter der Glocke lag ein Häufchen gebleichter Eulenknochen.“
    Coryn kam es vor, als verschwämme die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Als wäre er mitten im Geschehen, als erlebte er das alles selbst. Sorens Erzählerstimme wand sich durch das spärliche Licht in der Baumhöhle, wie das gewundene Band eines Flusses ins Meer strömt. Coryn spürte ihre Sogkraft.
    „Wie gesagt, wir saßen auf dem Fenstersims“, sprach Soren weiter. „Nun hatten wir alle schon seltsame und unheimliche Situationen erlebt, in denen uns mulmigim Magen geworden war. Aber etwas so Seltsames war uns noch nicht untergekommen. Das Lied, das aus der Glocke tönte, war wie flüssiges Silber. Ich kann es dir leider nicht vorsingen, aber allein seine Verse waren wunderschön.“
    „Wie lauteten sie denn?“, fragte Coryn gebannt.
    „Ich hoffe, ich kann mich noch daran erinnern. Könnt ihr nicht mitsprechen?“ Soren blickte Gylfie, Morgengrau und Digger auffordernd an. Die vier Eulen sagten im Chor:
    Ich bin die Glocke in der Nacht,
    Ihr Klang im Wind,
    Das Geläut von Glaumora
    Für jene, die gestorben sind.
    Mein Lied trägt dich zu den Sternen,
    Dort findest du Frieden,
    Unter der Himmelsglocke
    Ist dir Ruhe beschieden.
    „Als das Lied zu Ende war“, erzählte nun wieder Gylfie weiter, „flatterte eine wunderschöne Raufußkäuzin aus der Glocke.“
    „Ich werde ihren Anblick nie vergessen.“ Soren schloss die Augen. „Ihr Gefieder war graubraun wie Baumrinde, mit hellbraunen und gelblichen Streifen.Ihr Gesicht war hellgrau, aber die Augen wurden von kurzen schneeweißen Federn umrahmt. Fünf Reihen weißer Flecken schmückten die Flügel. Und auf dem Kopf hatte sie lauter kleine weiße Flecken wie winzige Sterne. Gylfie und ich hatten sofort den gleichen Gedanken: Sie sah ihrem Vater Grimbel zum Verwechseln ähnlich.“
    „Ihr meint den Grimbel, der euch geholfen hat, aus Sankt Ägolius zu fliehen?“ Vor Aufregung konnte Coryn nur flüstern.
    „Eben den!“, antwortete Soren. „Die Raufußkäuzin war nicht mehr jung. Ich habe sie gar nicht erst nach ihrem Namen gefragt. Sie konnte nur Grimbels Tochter Bess sein. Natürlich war sie überrascht, dass wir wussten, wer sie war. Dann

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