Die Legende der Wächter – Der Zauber

Titel: Die Legende der Wächter – Der Zauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky

Vom Netzwerk:

nur noch ein dunstgrauer Schatten seines stattlichen Selbst. „Das ist ausgeschlossen“, sagte er tonlos.
    Soren gab sich einen Ruck und öffnete den Schnabel. Aber Coryn kam ihm zuvor. „Widersprich mir nicht!“ Sein Ton war so scharf, wie es die anderen von ihm gar nicht kannten.
    „Es geht nicht ums Widersprechen“, sagte Soren. „Bis jetzt ist es ein bloßer Verdacht. Einen Beweis gibt es nicht. Die Sache ist viel verzwickter, als deine Worte es vermuten lassen.“
    „Das denke ich auch“, stimmte Digger ihm zu. Der Höhlenkauz war der Philosoph unter den vier Freunden. Wie sein Artenname nahelegte, begnügte er sich nicht mit der Oberfläche der Dinge, sondern grub gern tiefer nach verborgenen Wahrheiten.
    „Wenn Nyra eine Hägsdämonin ist, dann wärst du … also, entweder ist man ein Dämon oder man ist keiner!“, sagte Morgengrau entschieden. Dann schien er über seine eigenen Worte zu erschrecken. „Ich meine, wir haben dich gern und so …“
    „Halt den Schnabel, Morgengrau!“, fiel ihm Digger ganz unphilosophisch barsch ins Wort.
    „Ich will doch nur sagen, dass es nicht auf irgendwelche Bezeichnungen ankommt, sondern darauf, wie sich jemand verhält. Und Coryn verhält sich nicht wie ein Hägsdämon.“
    „Ach nee“, gab Digger zurück. „Vielen, vielen Dank, Morgengrau. Darauf wäre ich ohne dich niemals gekommen.“
    „Dann verbiete mir nicht den Schnabel! Wenigstens rede ich nicht stundenlang drum rum wie du immer.“
    „Ist die Sache denn tatsächlich verzwickter, wie Soren meint?“, fragte Digger.
    „Erklär’s ihnen, Coryn.“ Soren bemühte sich um einen ruhigen Ton. Die anderen sollten nicht merken, wie aufgewühlt er war.
    „Im Lauf von Jahrhunderten und Jahrtausenden hat sich die Natur der Hägsdämonen gewandelt. Fast jederist heutzutage schon mal einem Hägsdämon begegnet, aber die heutigen Dämonen sind schwache Geschöpfe. Sie lassen sich nur noch selten blicken, meistens auf langen, anstrengenden Flügen. ‚Die Krähen der Nacht‘ nennt man sie auch. Diese Bezeichnung kommt nicht von ungefähr, denn die Dämonen entstammen jener fernen Vorzeit, in der erstmals verschiedene Vogelarten entstanden. In ihren finstersten Stunden hat die Geschichte dann die Hägsdämonen hervorgebracht. Zu Zeiten der Hägsmagie waren sie äußerst gefährlich.“
    Soren räusperte sich. „Entschuldige die Unterbrechung, aber genau das habe ich eben gemeint. Wir leben heute in einer anderen Zeit. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Nyra nicht einfach eine ganz gewöhnliche Eule mit einem ungewöhnlich schlechten Charakter ist. Auch mein Bruder – dein Vater Kludd – hatte einen ungewöhnlich schlechten Charakter.“
    „Aber meine Mutter hat außerdem ein ungewöhnlich großes Gesicht – wie ich selbst auch. Unsere Köpfe sind viel größer als die anderer Schleiereulen.“
    „Es geht hier nicht um Kopfgrößen oder andere Äußerlichkeiten, Coryn. Mach bitte nicht den gleichen Fehler wie die Reinen. Auch denen ging es nur ums Äußere. Sie waren davon überzeugt, dass Schleiereulen allen anderen Eulen überlegen sind. Eine solche Sichtweise ist dumm und beschränkt.“ Sorens Ton war energisch.
    Nun schloss Coryn kurz die Augen. „Na schön“, sagte er dann. „Ich gebe zu, dass es keinen Beweis für meine Annahme gibt. Und dass ich einen Fehler gemacht habe, indem ich nur mit den Sorgen über meine Herkunft beschäftigt war. Die Frage, ob ich Nyras unselige Veranlagung geerbt habe, hat mich Nacht und Tag verfolgt. Eine solche zwanghafte Beschäftigung mit sich selbst ist eines Anführers unwürdig und eines Königs erst recht. Das ist mir jetzt klar. Ich habe aber noch etwas anderes entdeckt, als ich abgehauen bin.“
    Sorens Magen hatte sich gerade ein bisschen beruhigt. Nun geriet er von Neuem in Aufruhr. „Nämlich?“
    „Ein Buch. Es gehört zu Krämer-Ellies Waren.“
    „Und was ist das für ein Buch?“, fragte Gylfie.
    „Auf dem Einband ist ein Bild.“
    „Was für ein Bild? Jetzt mach es doch nicht so spannend, beim Glaux!“, kam es von Morgengrau.
    „Das Bild einer Papageieneule.“
    Daraufhin war die Bande sprachlos.
    „Und jetzt hört mir mal gut zu“, sagte Coryn.
    Soren beobachtete seinen Neffen. So spricht ein König. Kein selbstbezogener, von Ängsten gequälter Jungeulerich.
    „Aus den alten Legenden wissen wir, dass die Hägsdämonin Krieth in der Schlacht um den Gletscherpalast gefallen ist. Der Wolf Duncan MacDuncan hat sie getötet. Wir wissen