Die Legende der Wächter – Der Zauber
Königs.“
„Verstehe.“ Ellie zupfte das bunte Tuch zurecht, das sie keck um den Kopf geschlungen hatte.
Der König, von dem die Rede war, saß unbemerkt in einem dunklen Winkel.
„Also gut“, gab die Händlerin dann widerstrebend zu, „ich hatte tatsächlich ein Buch unter meinen Waren. Einen schweren, dicken Wälzer, auch wenn schon ein paar Seiten fehlten. Ein alter Krieger hat sich dafür interessiert. Er hat das Buch in einem Tragbeutel weggeschleppt.“
Coryn spürte einen Stich im Magen. Ein alter Krieger? Wer kann das gewesen sein?
„Und wer war dieser Krieger?“, sprach Soren aus, was seinem Neffen durch den Kopf ging.
„Vielleicht war er auch ein Söldner. Ja, wenn ich’s recht bedenke, sah er eher wie ein Söldner aus.“
„Wie sah er denn aus?“, wollte Morgengrau wissen.
Ellie antwortete nicht sofort und Morgengrau plusterte sich noch stärker auf. Er glich jetzt einem gefiederten, mit grauen Wolkenfetzen überzogenen Mond, der vom Himmel gefallen war. „Wird’s bald!“, herrschte er Ellie an. „Raus mit der Sprache!“
Ellie bekam es sichtlich mit der Angst zu tun. Sie knackte nervös mit dem Schnabel. „Das … das kann ich nicht sagen“, stotterte sie.
„Kannst du nicht oder willst du nicht?“
Ellie drehte sich zu Soren um und blickte ihn mit ihren blanken schwarzen Knopfaugen Hilfe suchend an. Soren reagierte nicht. Morgengraus Schnabel schoss vor und riss Ellie das Tuch vom Kopf. Ellie schrie auf unddie Eulen schnappten nach Luft. Im schwarz glänzenden Kopfgefieder der Elster leuchtete eine kahle Stelle.
„Gib ihr das Tuch zurück, beim Glaux!“, befahl Soren.
„Ja, gib’s ihr zurück, Morgengrau. Sei nicht gemein“, schloss Gylfie sich ihm an.
„Erst wenn sie den Schnabel aufmacht!“
„Der Söldner war auch ein gemeiner Kerl“, sagte Ellie halblaut.
„Herrje, Chefin, das tut mir aber leid“, plapperte Bubbles dazwischen. „Ich wusste gar nicht, dass Sie an Federräude leiden. Und dann auch noch auf dem Kopf!“ Sie bückte sich nach dem Tuch.
„Lieber kahl als dumm!“ Ellie holte mit dem Flügel aus und fegte die kleinere Elster von den Füßen. Dann wandte sie sich wieder Soren zu. „Seinen Namen hat mir der Söldner nicht verraten, aber für einen Schleiereulerich war er ungewöhnlich groß.“
Coryns Magen fing an zu grummeln. „Ist dir sonst noch etwas an ihm aufgefallen? Irgendwelche Narben oder andere besonderen Merkmale?“ Bitte nicht! Bitte nicht!
„Er hatte eine tiefe Kerbe im Schnabel.“
Das genügte Coryn schon. Ellie hätte ebenso gut seinen Namen rufen können: Stürmer! Er war einer von Nyras Generälen und sogar ihr Stellvertreter als Heerführer gewesen. Die Schnabelwunde hatte er sich seinerzeit in der Großen Brandschlacht zugezogen. Aber das konnte Ellie natürlich alles nicht wissen.
Die Eulen überschütteten sie mit Fragen, aber sie konnte immer nur „keine Ahnung“ antworten. „Keine Ahnung, wo er herkam. Keine Ahnung, wo er hinwollte.“
„Hat er irgendwas erzählt?“, fragte Gylfie.
„Er hat kaum etwas gesagt.“
„Konnte er Krakisch?“, wollte Digger wissen.
„Was ist denn Krakisch, beim Hägsmir?“
„Krakisch ist die Sprache der Nordlande“, klärte Soren die Elster auf.
„Keine Ahnung, ob er Krakisch konnte, aber …“
„Aber was?“, hakte Morgengrau sofort nach.
Ellie warf ihm einen giftigen Blick zu. „Aber es spielt auch keine Rolle, ob er diese komische Sprache kann oder nicht.“
„Wieso nicht?“
„Weil in dem Buch sowieso nicht viel Text stand. Es waren vor allem Bilder drin. Scheußliche Bilder! So was habt ihr noch nicht gesehen. Offen gestanden war ich froh, als ich das gruselige Ding los war.“
Soren begriff, dass es zwecklos war, Ellie noch weiter zu bedrängen. „Na schön. Du warst uns eine große Hilfe. Tut mir leid wegen deinem Tuch.“
Ellie hatte das Tuch wieder umgebunden und machte ein verlegenes Gesicht. „Du erzählst es doch nicht weiter, dass ich eine Glatze habe, oder, Soren? Das möchte ich auf gar keinen Fall.“
„Keine Sorge.“
„Wenn du das Tuch hin und wieder abnimmst und frische Luft an die Stelle lässt, wachsen die Federn vielleicht nach“, sagte Gylfie mitfühlend.
„Ach, ich hab mich jetzt schon dran gewöhnt“, gab Ellie munter zurück. Sie bedachte Morgengrau mit einem letzten bösen Blick und wandte sich an die anderen: „Kann ich euch sonst noch etwas zeigen? Ich habe letztens eine neue Ruine entdeckt. Und hinten in der
Weitere Kostenlose Bücher