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Die Legende der Wächter – Der Zauber

Die Legende der Wächter – Der Zauber

Titel: Die Legende der Wächter – Der Zauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Bruchstücke, wie die Teile eines Puzzles, hatte er Coryn seinerzeit erklärt.
    Es gab keine Begrüßung und Karnickel wandte auch nicht den Blick von dem Netz ab. Er redete einfach drauflos, als sei zwischen ihrer ersten Begegnung und dieser gar keine Zeit vergangen.
    „Eine dunkle Feder, Asche, Knochen … Stammt dasBild von heute? Oder von früher? Oder wird es erst noch wahr?“
    Coryn wusste eigentlich, dass Nachfragen keinen Zweck hatte. Karnickels Antworten verwirrten ihn jedes Mal nur noch mehr. Trotzdem konnte er sich nicht beherrschen. „Hat das Bild etwas mit mir zu tun?“
    Jetzt endlich wandte Karnickel den Kopf. „Ich … ich … immer nur ich! Diese Jugend! Kreist immer nur um sich selbst, König hin oder her!“
    Auch Coryns Gefährten kamen nun angeflogen und landeten neben Karnickel. „Ich wünschte, ich könnte euch mehr sagen. Ihr sucht sie , stimmt’s?“
    Nyras Name brauchte nicht ausgesprochen zu werden. Die fünf Eulen nickten.
    „Ich kann euch nur sagen, was ich gesehen habe: eine dunkle Feder, Asche und Knochen. Coryn hat euch ja schon erklärt, dass ich immer nur einzelne Bruchstücke sehe, niemals das ganze Bild. Und auch mit den Bruchstücken ist das so eine Sache. Ich bin nie sicher, ob es das, was ich sehe, wirklich gibt. Was ich in diesem Netz erkenne, ist entweder ein Hauch oder ein Flüstern.“
    „Ein Flüstern? So was kannst du sehen ?“, fragte Morgengrau verblüfft.
    „Pst!“, machte Digger. „Nimm nicht immer alles wörtlich.“
    „Ein Hauch ist nur ein verirrter Fetzen aus einem Traum. Ein Flüstern dagegen kann auf wahren Begebenheiten beruhen. Was ich eben gesehen habe, ist zwar verschwommen wie ein Traum, aber es hat auch ein Echo.“
    Morgengrau konnte einfach nicht den Schnabel halten. „Aber hat ein Flüstern denn ein Echo?“
    „Das habe ich mich auch gefragt. Eigentlich sollte man das nicht denken, oder?“ Die fünf Eulen schüttelten die Köpfe. „Außer, jemand flüstert in einer Höhle.“
    Es war, als hätte der Blitz in Coryns Magen eingeschlagen. „Knochen! Eine Feder! Asche! Eine Höhle! Sie hält sich in einer Höhle auf!“
    „Höhlen gibt es viele“, wandte Gylfie ein.
    Coryn ließ sich nicht beirren. „Sie hält sich nicht in irgendeiner Höhle auf, sondern in der Höhle!“
    Die anderen wechselten verständnislose Blicke.
    „In der Höhle, in der die Abschiedsfeier für meinen Vater stattgefunden hat. Sie braucht seine Gebeine beziehungsweise die Asche seiner verbrannten Gebeine.“
    „Gnädiger Glaux!“, entfuhr es Digger. „Auch Krieth war immer auf der Suche nach Asche von Abschiedsfeiern. Die Asche war eine unentbehrliche Zutat für ihre abscheulichen Experimente.“
    Morgengrau war still geworden. Er schaute Coryn an. Das Mondlicht beschien seinen Kopf und ließ sein graues Gefieder silbrig schimmern. „Handelt es sich um dieselbe Höhle, in der ich Kludd damals getötet habe? Wurde er dort bestattet?“
    Coryn nickte. „Sein Leichnam wurde Tag und Nacht bewacht, damit die Aasgeier nicht darüber herfielen. Als nur noch die blanken Knochen übrig waren, wurden sie verbrannt.“
    „Sonderbar …“, sagte Soren. „Sonst wird bei einer Abschiedsfeier doch immer der ganze Körper verbrannt. Warum hat man gewartet, bis nur noch die Knochen übrig waren?“
    Bei dieser Frage seines Onkels öffnete Coryn die Augen weit, dann blinzelte er. Aber er blinzelte nicht vor Überraschung, sondern seltsam wissend. Sorens Magen erschauerte unwillkürlich.
    „Ich habe dir ja erzählt, dass meine Mutter eine Vorliebe für gewisse Rituale hegte, die mit Blut und Gewalt zu tun hatten“, antwortete Coryn dann. „Rituale, die ihren Ursprung noch in Dämonenzeiten haben. Wie Digger schon gesagt hat: Die Asche verbrannter Gebeine besitzt besondere Kräfte. Das steht schon in den alten Legenden.“
    „Aber Nyra hat die Legenden doch gar nicht gelesen“, gab Gylfie zu bedenken. Leise Panik schwang in ihrer Stimme mit.
    „Das war auch nicht nötig. Ihr Dämonenerbteil spricht zu ihr“, erwiderte Coryn gelassen.
    „Aha.“ Das Kaninchen betrachtete wieder das Spinnennetz. „Dann ist es also tatsächlich kein Hauch, sondern ein Flüstern.“
    „Das heißt, es ist wahr“, sagte Morgengrau. „Kommt!“
    Als sich die fünf Gefährten in den nächtlichen Winterhimmel emporschwangen, hatte Morgengrau nur einen Gedanken: Ich habe ihn schon einmal getötet. Wenn Nyra ihn jetzt wieder herbeibeschwört, töte ich ihn eben noch ein zweites Mal …

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