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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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könne nicht mehr weitermachen. Lupuline war damals dreizehn. Acht Monate lang hatte er ihr fast jeden Abend vom Krieg erzählt.
    »Schreiben Sie alles auf?«, fragte sie mich.
    Ich hob den Kopf. Ja, ich schrieb alles auf. Ich hörte zu und bewahrte auch das farbloseste Wort, sagte ich, auch wenn es zu nichts nutze sei. Ich dachte an Ascq, an Beuzaboc, an seineernste Stimme im Kinderzimmer. An seine Entscheidung, die nächtliche Zeremonie zu beenden. Ich dachte an den nächsten Tag, an unsere sechste Sitzung. Mir war nicht wohl dabei. Bevor ich Ascq ansprechen könnte, müsste ich noch einmal auf den englischen M G-Schützen zurückkommen. Er müsste mir von den Jungs erzählen, von denen, die ihn damit betraut hatten, den abgeschossenen Flieger zu verstecken. Ich müsste sanft, vorsichtig, vielleicht auch nachsichtig sein. Dürfte ihn weder in die Falle locken noch erzürnen. Beuzaboc konnte unsere Arbeit jederzeit beenden, das war mir klar. Und diese Vorstellung verfolgte mich.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte Lupuline.
    Nein, nur ein paar Details bei den Daten und Fakten, wiederholte ich. Da komme der Journalist in mir wieder zum Vorschein. Der den Rohdiamanten den besten Schliff geben wolle. Einmal hatte ich einer Kundin erklärt, ich spielte gern mit Worten und Bildern, und vorgeschlagen, ihre Biographie mit etwas Fantasie anzureichern, damit sie lesbarer würde. Sie hatte eine Jugendliebe geschildert und sich nicht einmal erinnern können, ob ihre Lippen sich je berührt hatten. Natürlich hätten sie das, sagte ich, und beschrieb ihren Kuss. Die beklommenen Herzen, die jugendliche Hitze, die weichen Knie. Klar, rief sie, als sie es gelesen hatte, natürlich, genau so sei es gewesen. Mit einem Schlag habe sie ihr Gedächtnis wiedergefunden. Wieder vor sich gesehen, wie das gewesen sei mit ihr und mit ihm. Dabei war da keine Spur von ihr oder ihm. In meinen Worten war nur ich.
    »Sie sagen mir doch, wenn es Probleme gibt?«
    »Selbstverständlich.«
    »Egal, welche?«
    Lupuline stand schon an der Tür und sah mich an. Ich nickte. Sie schaute genauer hin. Ich log. Sie konnte Verlegenheit und Scham an meinem Gesicht ablesen.
    »Schonen Sie mich nicht, Monsieur Frémaux. Ich bin kein Kind mehr, das man beruhigen muss. Einverstanden?«
    Wieder dieses lächerliche Nicken.
    Sie gab mir nicht die Hand. Ging einfach, langsam, auf ein Zeichen wartend, und ließ die Tür offen stehen.

14
    »Sie immer mit Ihren Fragezeichen!«, grummelte Beuzaboc.
    Er überflog die Seiten über Wimpy, den abgeschossenen Flieger. Den Kopf zurückgelehnt, die Blätter vor der Brille. Ich saß an meinem Tisch und beobachtete ihn, das Kinn in die Hand gestützt.
    »Sie können schreiben«, stellte er fest. Er nahm die Zigarette aus der Blechdose und zündete sie an.
    »Sie haben gestern Lupuline getroffen?«
    Ja. Noch ein paar Minuten, dann käme alles auf den Tisch.
    »Sie hat noch nichts davon gelesen?«
    Nein. Er sah überrascht drein. Und stellte dann die Frage in den Raum, ob es nicht besser wäre, wenn sie jede Woche das Geschriebene an seiner Stelle durchlesen würde. Er habe weder die Ruhe noch die Kraft, diese Korrekturübung noch lange fortzusetzen.
    »Wenn ich lese, was Sie geschrieben haben, habe ich das Gefühl, meine Stimme zu hören. Und ich mag meine Stimme nicht«, murmelte Beuzaboc.
    Er schenkte sich ein Glas Wasser ein, schaute mich lange an und fragte dann, was ich für Fragen hätte.
    »Letzte Woche haben Sie von den Jungs gesprochen. DieSie beauftragten, sich um den Engländer zu kümmern. Wer waren die Jungs?«
    »Die Résistance. Wer sonst?«
    »Haben Sie einer Gruppe angehört? Einem Netz?«
    »Da hätten wir anfangen sollen«, antwortete Beuzaboc.
    Er nahm einen langen Zug aus seiner Zigarette, den Blick auf die geschlossenen Fensterläden gerichtet. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Ich hatte meine Hemdsärmel hochgekrempelt.
    »Wie, glauben Sie, hat die Résistance funktioniert?«
    Ich machte eine vage Geste. Es gab Gruppen, die für Propaganda, für die Presse zuständig waren, Nachrichtendienste, die Partisanen der
Corps francs
für militärische Aktionen, Fluchthelfer für abgeschossene Engländer.
    »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht«, lächelte der alte Mann. Dann schloss er die Augen und nahm seine Brille ab.
    »Kennen Sie das deutsche Wort
Nachlässigkeit

    Ich schüttelte den Kopf.
    »
Nachlässigkeit «
, wiederholte Beuzaboc und versuchte, besonders hart zu klingen.
    Er lächelte wieder.

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