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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ging Beuzaboc auf die Toilette. Langsamer als sonst.
    Dann sang er wieder.
    Trostlos heult der Wind in dem Kamin,
    schweigend fallen Rosenblätter ab.
    Die Wanduhr, mit der die Stunden ziehn,
    tönt die Ödnis mit kläglichem Schlag.
    Er ging zum Sessel zurück. Setzte sich. Öffnete sein Zigarettenetui.
    »Entschuldigen Sie. Was war Ihre Frage?«
    Seine Stimme war leise, wie wenn man ein Kind befragt.
    »Ich wollte den Namen Ihrer Gruppe wissen.«
    »Haben Sie das recherchiert?«
    »Ja.«
    »Haben Sie eine Vermutung?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Sagen Sie es ruhig.«
    Ich blätterte in meinem Heft.
    »Evasion?«
    »Nein.«
    »Alliance?«
    »Nein.«
    »Pat O’Leary?«
    »Nein.«
    Er lächelte, als wäre es ein Spiel.
    »Zéro? Comète?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich sehe, Sie interessieren sich für Ihr Thema.«
    »Ich interessiere mich für Sie«, erwiderte ich.
    »Weiter!«
    »Libé Nord? Voix du Nord? Sylvestre Farmer? Notre-Dame?«
    »Ist das nicht ein bisschen peinlich?«
    »Ich muss es wissen, um voranzukommen.«
    »Aber warum? Was hat das für eine Bedeutung? In Boulogne-sur-Mer gab es eine Partisanengruppe, die sich
Le Club des Tordus
nannte. Wussten Sie das?«
    »Nein, wusste ich nicht.«
    »Und? Was ändert das? Es gab sie, und Sie haben von ihr nicht einmal etwas geahnt.«
    »Ich versuche, meine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Ich will Ihnen Ehre erweisen.«
    Beuzaboc schüttelte den Kopf. Nicht aggressiv oder respektlos, nur müde. Das kam von der Erschöpfung und der Affenhitze. Er trank ein Glas Wasser und zündete sich seine Zigarette an. Noch einmal schüttelte er den Kopf und betrachtete den Ventilator.
    »Sie sollen mir keine Ehre erweisen. Sondern Respekt vor mir haben.«
    »Ich respektiere Sie.«
    »Dann hören Sie mir zu.«
    »Ich höre Ihnen zu.«
    »Ich war nicht organisiert, so wie Sie das verstehen.«
    »Sie haben allein Widerstand geleistet?«
    »Mehr oder weniger. Mit meinen Freunden.«
    »Trompette? Fives? Meinen Sie die?«
    »Genau. Sie und andere.«
    »Eisenbahner?«
    »Eisenbahner.«
    »Können Sie mir Namen nennen?«
    »
Nein!
«
    Ich zuckte zusammen. Legte einen Finger auf meine Lippen und entschuldigte mich. Sein deutsches »Nein« war eine Ohrfeige.
    Seit Beginn der Sitzung empfand ich mich als aggressiv. Mein Ton war schärfer als gewöhnlich. Nicht hart, aber rau. Es war ein Verhör.
    Ich hatte Beuzaboc gefragt, was er als Partisan gelesen habe. Wie er sich informierte. Er nannte nur Radio London. Dann zählte ich auf: »L’Enchaîné«, »Les Petites Ailes«, ein hektografiertesBlättchen, das man »aufmerksam lesen, fleißig vervielfältigen und vorsichtig verteilen« sollte, »La Voix du Nord«, eine Flugschrift, die von Hand zu Hand oder eingerollt im Fahrradlenker weitergegeben wurde. Er hatte nichts davon gelesen. Warum? Ob er wenigstens davon gehört hätte? Dann fragte ich ihn, woher er den Sprengstoff, die Bleistift-Zeitzünder, die Waffen hatte. Aus der Luft. Aber wo wurden sie abgeworfen? Wer verteilte das Material, wer teilte die Aufgaben zu? Beuzaboc wich aus, trank viel, überhörte die gestellte Frage und ging auf eine ganz andere ein. Und ließ irgendwann müde fallen:
    »In unserer Gegend gab es keinen Maquis, keine Helden, keine Legende.«
    Er fächelte sich mit der Hand Luft zu, öffnete sein Hemd, lüftete es, schüttete Wasser auf sein großes Taschentuch, stand immer wieder auf. Diesmal rauchte er drei Zigaretten. Nie hatte ich gesehen, dass er eine ausdrückte und sich gleich die nächste anzündete. Als er auf der Toilette war, stand ich auch auf, um ein paar Schritte zu gehen. Ich bekam kaum Luft. Die Hose klebte an meinen Schenkeln, das durchgeschwitzte Hemd an meinem Rücken. Ich überlegte kurz, ob es nicht besser wäre, das Fenster weit aufzumachen. Dieses Zimmer hatte anscheinend noch nie das Tageslicht erblickt. Durch die Latten der Fensterläden konnte ich den Himmel sehen, er war kobaltblau, und die flirrende Hitze legte sich wie ein Schleier über die Gebäude. Auf einem Balkon gegenüber fasste eine Frau sich mit beiden Händen an die Brust, als ob sie erstickte. Ich zog mich wieder ins Dunkel zurück.
    Zum ersten Mal schaute ich mir das Zigarettenetui des alten Mannes genauer an. Nahm es in die Hand. Es war eineflache, eckige Blechdose. Unten weiß, oben rot mit feinen Streifen. Von diesem Hintergrund hoben sich der Name »Belga« und das Porträt einer Frau ab. Eine belgische Zigarettenmarke. Ich erinnerte mich, dass mein Vater sie

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