Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Schwank verarbeitet; ich stand unerkannt in der Menge und verstand nicht, worüber die Erwachsenen so grölend lachten, wenn davon die Rede war, ›auf des Nachbarn Fels zu säen‹.
Doch sehr bald wurden uns beiden die Menschen und der Lärm zuviel, und ich ließ Nosy wissen, daß ich dem Tumult entkommen wollte. Wir verließen die Burg durch das Haupttor, unbemerkt von den Wachen, die mit den ein- und ausgehenden Festbesuchern schwatzten und lachten. Ein weiterer Junge mit Hund im Gefolge einer Fischhändlersfamilie war nicht der Beachtung wert. Da sich keine interessantere Beschäftigung bot, folgten wir der Familie auf dem Weg vom Burgberg hinunter zu dem Ort, doch blieben wir weiter und weiter zurück, weil immer neue Gerüche Nosy veranlaßten, an jeder Ecke zu schnüffeln und eine Duftmarke zu setzen, bis wir beide allein durch die Straßen der Stadt wanderten.
Burgstadt war zu jener Zeit eher ein zugiges, unwirtliches Dorf, durchzogen von steilen Gassen mit Kopfsteinpflaster, tief gefurcht vom Gewicht der beladenen Fuhrwerke. Der Wind beleidigte meine Landrattennase mit dem scharfen Geruch von faulendem Seetang und Fischabfällen, während das Schreien der Möwen und Meeresvögel sich über dem rhythmischen Branden der Wellen zu einer geisterhaften Melodie vereinte. Die Häuser klammerten sich an die schwarzen Klippen wie die Schnecken und Muscheln an die Dückdalben und Kais, die in die Bucht hinausragten. Man baute mit Stein und Holz. Die schmuckeren Behausungen lagen weiter oben und waren tiefer in den Fels hineingesetzt.
Im Ort war es ruhig, verglichen mit den Festlichkeiten und dem Gewimmel in der Burg. Weder der Hund noch ich hatten den Verstand oder die Erfahrung, um zu wissen, daß die Hafengegend für einen Sechsjährigen und einen Welpen ein gefährliches Pflaster sein kann. In unserem begeisterten Forscherdrang trabten wir buchstäblich immer der Nase nach, die Straße der Bäcker hinunter, über einen fast leeren Marktplatz und dann zwischen den Lagerhäusern und Bootsschuppen entlang, die die unterste Stufe des Ortes bildeten. Hier befanden wir uns dicht am Wasser, und der Weg führte streckenweise über hölzerne Stege. In diesem Viertel ging die Arbeit ihren gewohnten Gang, kaum beeinflußt von der ausgelassenen Atmosphäre oben in der Burg. Schiffe müssen nach dem Gebot von Ebbe und Flut anlegen und ihre Ladung löschen, und die vom Fischfang leben, folgen dem geheimnisvollen Zeitplan der Meereskreaturen und nicht dem der Menschen.
Bald trafen wir auf Kinder, einige mit Handlangerdiensten für ihre Eltern beschäftigt, andere jedoch Müßiggänger wie wir selbst. Ich hatte mich schnell mit ihnen angefreundet, ohne umständliche Vorstellung oder irgendwelche von den Formalitäten der Erwachsenen. Die meisten von ihnen waren älter als ich, einige aber genauso jung oder jünger. Keiner schien es seltsam zu finden, daß ich allein unterwegs war. Man zeigte mir sämtliche Sehenswürdigkeiten des Ortes, eingeschlossen den aufgedunsenen Kadaver einer Kuh, der von der letzten Flut angeschwemmt worden war. Wir besichtigten ein Dock mit einem im Bau befindlichen Fischerboot, umgeben von Holzspanlocken und stark riechenden Teerpfützen. Ein Räuchergestell, leichtsinnig unbeaufsichtigt gelassen, versorgte uns mit einer Mittagsmahlzeit. Wenn die Kinder, mit denen ich herumstreunte, um einiges zerlumpter und frecher waren als die, die ihren Pflichten nachgingen, fiel mir das nicht auf. Und hätte mir jemand gesagt, daß ich mich einer Bande diebischer Elstern angeschlossen hatte, die wegen ihrer langen Finger die Burg nicht betreten durften, wäre ich entsetzt gewesen. In meiner Arglosigkeit wußte ich nur, daß es plötzlich ein spannender und abwechslungsreicher Tag geworden war, voller Eindrücke und Abenteuer.
Bei meinen neuen Spielgefährten gab es ein paar junge Burschen, größer und rauher, die es sich schuldig zu sein glaubten, den Neuankömmling zurechtzustutzen, und die es auch getan hätten, wäre Nosy nicht bei mir gewesen, der ihnen bei dem ersten herausfordernden Schubs die Zähne zeigte. Doch als ich kein Verlangen erkennen ließ, ihnen die Führerschaft streitig zu machen, duldete man meine Anwesenheit. Ich zeigte mich angemessen beeindruckt von ihren Geheimnissen und möchte behaupten, daß ich mich am Ende des langen Nachmittags besser in dem ärmeren Teil der Stadt auskannte als viele, die in den Bezirken darüber aufgewachsen waren.
Man fragte mich nicht, wie ich hieß, sondern
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