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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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fallen, wo sie zertreten wurden. Die Gebote der Reinlichkeit hatte sie völlig vergessen, sie wusch sich nicht, hielt sich in keiner Beziehung sauber. Die meisten Tiere beschmutzen nur einen bestimmten Bereich ihres Lagers, doch Netta glich einer Maus, die auf Schritt und Tritt ihre Exkremente hinterläßt, auch an ihrem Schlafplatz. Sie konnte sprechen wie ein vernunftbegabter Mensch, vorausgesetzt, ihr stand der Sinn danach oder es gab etwas, das sie unbedingt haben wollte. Äußerte sie sich aus eigenem Antrieb, dann gewöhnlich, um mich zu beschuldigen, ich hätte sie bestohlen, oder um mich mit Drohungen zu zwingen, ihr augenblicks diesen oder jenen Gegenstand zu überlassen, den zu besitzen sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Grundsätzlich begegnete sie mir mit Argwohn und Haß. Meine Versuche, mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen, ignorierte sie, aber Hunger erwies sich als probates Mittel, sie zum Sprechen zu bringen. Sie erinnerte sich an ihre Familie, zeigte jedoch kein Interesse am Schicksal ihrer Eltern oder Geschwister. Vielmehr beantwortete sie diesbezügliche Fragen, als ginge es um das Wetter von gestern. Von ihrer Gefangenschaft bei den Roten Korsaren wußte sie lediglich zu berichten, daß sie und die anderen im Bauch eines Schiffes zusammengepfercht gewesen wären, es hätte nur wenig zu essen gegeben und Wasser nur schluckweise. Weder hatte man ihr etwas Ungewöhnliches eingeflößt, soweit sie sich entsinnen konnte, noch war sie in irgendeiner Weise berührt worden. Von ihr war also nichts über die Methode des Entfremdens zu erfahren, zu meiner großen Enttäuschung, denn ich hatte gehofft, wenn man erst wußte, wie etwas bewerkstelligt wurde, könnte man einen Weg finden, es rückgängig zu machen.
    Ich versuchte, sie mit gutem Zureden dazu zu bringen, daß sie wieder menschliche Verhaltensweisen annahm, jedoch erfolglos. Offenbar verstand sie meine Worte, handelte jedoch nicht danach. Wenn man ihr zwei Laibe Brot gab und ihr sagte, sie müsse einen für den Tag aufheben oder hungern, ließ sie den zweiten Laib auf den Boden fallen, zertrat ihn und verzehrte tags darauf die verstreuten Brocken, ohne sich an dem Schmutz zu stören, der daran haftete. Sie bekundete weder Interesse an ihrer Handarbeit noch an irgendeinem anderen Zeitvertreib. Auch buntes Kinderspielzeug lockte sie nicht. Wenn sie nicht aß oder schlief, war sie's zufrieden, untätig in einer Ecke zu hocken. Gab man ihr Kuchen oder Konfekt, verschlang sie große Mengen davon, erbrach sich und aß weiter.
    Ich behandelte sie mit verschiedenen Elixieren und Kräutertees. Ich ließ sie fasten, setzte sie in ein Dampfbad, verabreichte ihr Purgatoria. Heiße und kalte Güsse hatten keine andere Wirkung, als sie zornig zu machen. Ich versetzte sie in Schlaf, gab ihr Elfenrinde, um sie wachzuhalten – keine Veränderung, außer daß sie reizbar wurde. Ob ich ihr jeden Wunsch erfüllte oder sie mit unnachsichtiger Strenge behandelte, es änderte nichts an ihrem Verhalten. Solange sie Hunger hatte, knickste sie auf Befehl und lächelte süß, doch kaum reichte man ihr zu essen, war sie taub für alle weiteren Anordnungen oder Befehle.
    Territorium und Besitz verteidigte sie mit wütender Eifersucht. Mehr als einmal versuchte sie mich anzufallen, aus keinem anderen Grund, als daß ich ihrer Schüssel zu nahe gekommen war, und einmal, weil ihr plötzlich ein Ring ins Auge stach, den ich am Finger trug. Sie tötete regelmäßig die Mäuse, die ihre Unsauberkeit anlockte – packte die Tierchen erstaunlich flink und schmetterte sie gegen die Wand. Eine Katze, die sich in ihr Zimmer verirrte, ereilte das gleiche Schicksal.
    Sie schien keine Vorstellung von der Zeitspanne zu haben, die seit ihrer Entfremdung verstrichen war. Wenn man das Druckmittel Hunger anwendete, um ihr die Zunge zu lösen, stellte sich heraus, daß sie keine Mühe hatte, chronologisch die Ereignisse ihres früheren Lebens aufzuzählen, aber die Tage seither waren für sie ein einziges langes ›Gestern‹.
    Von Netta konnte ich nicht hoffen zu erfahren, ob man ihr etwas gegeben oder genommen hatte, um sie zu entfremden. Ich wußte nicht, ob es sich um etwas handelte, das man einnehmen oder riechen oder hören oder sehen konnte. Wußte nicht, ob es überhaupt Menschenwerk war oder der Fluch eines Meerdämons von der Art, die einige Fernländer beschwören zu können behaupten. Ein langes und ermüdendes Experiment hatte mir keine neuen Erkenntnisse gebracht.
    Netta gab ich

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