Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Hauptstadt des Bergreichs. Seine Anwesenheit bewirkte einen steten Strom von Gesandten, Geschenken und Waren zwischen Bocksburg und Jhaampe. Selten verging eine Woche, ohne daß eine Karawane entweder eintraf oder sich auf den Weg machte.
Mir erschien es eine unschöne Art und Weise, die Ehe zu schließen. Beide waren schon fast einen Monat verheiratet, bevor sie sich das erste Mal zu sehen bekamen. Aber der politische Gewinn wog schwerer als die Gefühle der Betroffenen, und die Vorbereitungen für die getrennten Feierlichkeiten nahmen ihren Lauf.
Längst hatte ich mich davon erholt, daß ich von Veritas als Kraftquelle benutzt worden war. Schwerer fiel es mir, in vollem Umfang zu begreifen, was Galen mir angetan hatte, indem er meine Gabe blockierte. Ich glaube, es wäre trotz Veritas' Rat zur Konfrontation gekommen, nur daß Galen Bocksburg verlassen und sich einer Karawane nach Jhaampe angeschlossen hatte. Er wollte mitreiten bis Farrow, wo er Verwandte zu besuchen wünschte. Wenn er zurückkehrte, würde ich mich auf dem Weg nach Jhaampe befinden. Deshalb blieb Galen vorerst außerhalb meiner Reichweite.
Wieder einmal hatte ich zu viel freie Zeit. Nach wie vor war es meine Aufgabe, Leon auszuführen, aber das nahm jeden Tag vielleicht ein, zwei Stunden in Anspruch. Über den Mordanschlag auf Burrich hatte ich nichts weiter herausfinden können, und Burrich selbst ließ durch nichts erkennen, daß er gedachte, meine Verbannung aufzuheben. Ich unternahm einen Ausflug hinunter nach Burgstadt, doch als ich an der Kerzenzieherei vorbeischlenderte, war das Haus verriegelt und verrammelt. Meine Nachfrage beim Sattler nebenan ergab, daß der Laden bereits seit zehn oder mehr Tagen geschlossen war, und falls ich nicht die Absicht hatte, ein Zaumzeug oder ähnliches zu erstehen, sollte ich machen, daß ich weiterkam, und aufhören, ihm die Zeit zu stehlen. Ich dachte an den jungen Mann, den ich letztens mit Molly gesehen hatte, und in meiner Verbitterung wünschte ich, ihnen beiden möchte kein Glück beschieden sein.
Aus keinem anderen Grund, als daß ich mich einsam fühlte, beschloß ich, den Narren aufzustöbern. Bisher hatte ich nie versucht, eine Begegnung mit ihm herbeizuführen. Ihn zu finden erwies sich als unerwartet schwierig.
Nachdem ich ein paar Stunden ziellos durch die Burg gewandert war, in der Hoffnung, ihn irgendwo zu treffen, faßte ich den Mut, zu seiner Kammer hinaufzusteigen. Ich wußte seit Jahren, wo er wohnte, im alten Bergfried, hatte ihn aber noch nie besucht, und der Grund war nicht allein, daß es sich um einen abgelegenen Teil der Burg handelte. Der Narr ermutigte keine Annäherung, außer wenn er selber auf jemanden zuging. Sein Gemach lag im Obergeschoß des quadratischen Turms. Von Fedwren wußte ich, daß es ursprünglich ein Kartenraum gewesen war, von dem aus man einen ungehinderten Blick auf das Land um Bocksburg hatte. Doch spätere Erweiterungsbauten verdeckten die Aussicht, und höhere Türme übernahmen seine Funktion. Er hatte seine Nützlichkeit überlebt und taugte nur noch dazu, einem Narren als Wohnung zu dienen.
An diesem Tag, zu Beginn der Fruchteinbringe, machte ich mich daran, die Treppe zu erklimmen. Es war schon zu dieser Stunde heiß und stickig. In den dicken Mauern gab es nur schmale Schießscharten, die kaum Luft hereinließen, nur etwas Sonnenlicht, in dem die Staubkörnchen tanzten, die meine Schritte aufwirbelten. Zuerst war mir das Halbdunkel im Turm kühler erschienen als die Schwüle draußen, doch je höher ich stieg, desto heißer und beklemmender wurde es, bis ich mich, oben angekommen, fühlte, als wäre keine Luft mehr zum Atmen vorhanden. Ich hob eine kraftlose Hand und klopfte an die feste Tür aus dickem Holz. »Ich bin es, Fitz!« rief ich, aber die stille Luft erstickte meine Stimme wie eine feuchte Decke ein Feuer.
Soll ich das als Entschuldigung anführen? Soll ich sagen, weil ich dachte, er hätte mich vielleicht nicht gehört, wollte ich nachsehen, ob er da war? Oder soll ich sagen, ich wäre so außer Atem und durstig gewesen, da ich unbedingt frische Luft und etwas zu trinken braucht und deshalb hineinging? Aber das Warum ist gar nicht so wichtig. Ich hob den Riegel an und öffnete die Tür.
»Hallo?« rief ich, doch ein Gefühl sagte mir, daß er nicht zu Hause war. Ich spürte es nicht mit meinem speziellen Sinn, die absolute Stille verriet es mir. Trotzdem blieb ich an der Tür stehen und starrte auf die Offenbarung einer
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