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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Bewußtsein von Geschwistern oder Mitgeschöpfen ringsum. Statt dessen lag ich wach und dachte an meinen Vater und meine Mutter, wie leicht es beiden gefallen war, mich aus ihrem Leben auszuschließen. Ich hörte, was man sich gedankenlos über meinen Kopf hinweg erzählte, und deutete das Erlauschte nach meinem kindlichen Verständnis. Was würde aus mir werden, wenn ich erwachsen war und der alte König Listenreich gestorben? Manchmal überlegte ich, ob Molly Blaufleck und Kerry mich vermißten oder ob sie mein plötzliches Verschwinden so gelassen hinnahmen wie mein Auftauchen aus heiterem Himmel. Doch am meisten schmerzte mich das Gefühl der Verlassenheit, denn in der ganzen großen Burg gab es niemanden, den ich als Freund empfand. Niemand außer den Tieren, und Burrich hatte mir verboten, mit ihnen Gemeinschaft zu pflegen.
    Eines Abends war ich müde zu Bett gegangen, nur um mich mit meinen Ängsten zu quälen, bis ich schließlich doch in Schlaf sank. Helligkeit in meinem Gesicht weckte mich auf, aber ich erwachte mit dem Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Ich hatte nicht lange genug geschlafen, und dieser Lichtschein war gelblich und unstet, anders als die Morgensonne, die gewöhnlich durch mein Fenster strömte. Unwillig schlug ich die Augen auf.
    Er stand am Fußende meines Bettes, eine Lampe in der erhobenen Hand. Schon das an sich war eine Seltenheit in Bocksburg, aber der Mann selbst fesselte meinen Blick. Sein Gewand war aus ungefärbter Schafwolle und in letzter Zeit nicht mehr gewaschen. Haar und Bart hatten in etwa die gleichen Farbe, weshalb es mir schwer wurde, sein Alter zu schätzen, und machten auch einen ähnlichen ungepflegten Eindruck. Es gibt einige Arten von Ausschlag, die einen Menschen für sein ganzes Leben zeichnen können, aber nie zuvor hatte ich solche Verheerungen gesehen wie bei ihm: Sein Gesicht war übersät von Narben und winzigen Kratern, von fleischig-rosa und roten Flecken, wie kleine Brandwunden, und bleich sogar im buttergelben Schein der Lampe. Seine Hände bestanden nur aus Knochen und Sehnen, umhüllt von papierweißer Haut. Er starrte mich an, und seine Augen waren von einem unglaublich strahlenden Grün. Sie gemahnten mich an die Augen einer Katze auf der Jagd; die gleiche Mischung aus unschuldiger Freude und Mordlust. Ich zog die Decke bis unters Kinn.
    »Du bist wach«, sagte er. »Gut. Steh auf und komm mit.«
    Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt statt zur Tür zu einem schattenverhangenen Winkel meines Zimmers zwischen Kamin und Fensterwand. Ich rührte mich nicht. Er schaute sich zu mir um und hielt die Lampe höher. »Beeil dich, Junge«, mahnte er gereizt und klopfte mit seinem Gehstock gegen den Bettpfosten.
    Ich stieg aus dem Bett, der Boden unter meinen bloßen Füßen war eiskalt. Frierend griff ich nach meinen Kleidern und Schuhen, doch er schien nicht gewillt, auf mich zu warten. Wieder sah er über die Schultern, um zu sehen, was mich aufhielt, und der durchdringende Blick genügte, daß ich die Sachen fallen ließ und den Kopf einzog.
    Barfuß, nur mit dem Nachthemd bekleidet, folgte ich ihm, aus keinem anderen Grund, als weil er mich dazu aufgefordert hatte. Ich folgte ihm zu einer Tür, die vorher nicht dagewesen war, und eine enge Wendeltreppe hinauf. Das einzige Licht stammte von seiner Lampe, die er hoch über den Kopf hielt. Ich ging in seinem huschenden Schatten, und in dem verwirrenden Wechsel von Hell und Dunkel war ich gezwungen, jeden Schritt mit den Füßen zu ertasten. Die Stufen waren aus kaltem Stein, ausgetreten, glattgewetzt und auffallend ebenmäßig. Es ging hinauf und hinauf, bis ich glaubte, daß wir höher gestiegen sein mußten als jeder Turm, den die Burg besaß. Ein kalter Luftzug strömte von unten durch den Schacht und über meine Beine, aber nicht allein deswegen fror ich. Und immer noch hatte die Treppe eine Windung mehr, bis mein geheimnisvoller Führer eine diesmal wirkliche Tür aufstieß, die sich dennoch gespenstisch lautlos in den Angeln drehte. Wir traten in ein Zimmer.
    Lampen, die an dünnen Ketten von einer unsichtbaren Decke hingen, verbreiteten eine warme Helligkeit. Der Raum war groß, meine Stube hätte leicht dreimal hineingepaßt. Von der einen Hälfte fühlte ich mich unwiderstehlich angezogen, hauptsächlich wegen des einladenden Bettes, auf dem sich behäbige Plumeaus und Kissen türmten. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt, die sich gegenseitig überlappten, ein Mixtum compositum in Rot- und

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