Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
dieses Mannes, seine Frau. Auch das habe ich gelobt zu sein und will es sein, nicht nur, weil es die Pflicht gebietet. Doch er besucht mich nur selten, und wenn er kommt, spricht er wenig und geht bald wieder.« Sie sah mich an und wischte mit einer heftigen Bewegung die Tränen ab, die an ihren Wimpern glitzerten. »Du hast mich einmal an meine Aufgabe gemahnt, ich solle tun, was nur die Königin von Bocksburg tun könne. Nun, ich werde Bocksburg keinen Erben schenken, wenn ich Nacht für Nacht allein in meinem Bett liege!«
»Majestät, Hoheit, bitte«, flehte ich. Mein Gesicht war glühendheiß.
Sie kannte kein Erbarmen. »Letzte Nacht habe ich nicht gewartet. Ich ging zu ihm, aber der Türhüter sagte, er wäre nicht in seinen Gemächern. Er wäre in seinen Turm hinaufgestiegen.« Ihr Blick irrte zur Seite. »Selbst das erscheint ihm besser als die Arbeit, die ihn in meinem Bett erwartet.« Nicht einmal die dürre Bitterkeit ihrer Worte vermochte darüber hinwegzutäuschen, wie tief verletzt sie sich fühlte.
Ich wankte unter dem Anprall der Dinge, die ich nicht wissen wollte. Kettrickens Traurigkeit. Veritas, der nachts die Gabe rief. Ich wußte nicht, was schlimmer war. Meine Stimme klang heiser, als ich sagte: »Ihr dürft mir diese Dinge nicht anvertrauen, Hoheit. Mir gegenüber davon zu sprechen ist nicht recht…«
»Dann laß mich gehen und sie ihm sagen. Er ist es, der meine Worte hören sollte, ich weiß. Und er wird sie von mir hören! Wenn er nicht aus Zuneigung zu mir findet, dann muß die Pflicht ihm den Weg weisen!«
Das ist klug. Sie muß trächtig werden, wenn das Rudel stark bleiben soll.
Halt dich heraus. Geh nach Hause.
Nach Hause. Ein rauher Laut in meinem Bewußtsein, wie ein geringschätziges Auflachen. Zu Hause ist das Rudel – nicht ein leeres, kaltes Lager. Hör auf die Frau. Sie spricht gut. Wir sollten alle gehen, um bei dem zu sein, der führt. Du fürchtest ohne Grund um diese Frau. Sie jagt gut und tötet sauber. Sie ist eine würdige Gefährtin dessen, der führt.
Wir sind keine Brüder. Sei still.
Ich bin’s. Aus dem Augenwinkel glaubte ich eine huschende Bewegung wahrzunehmen. Ich fuhr herum – nichts. Als ich mich wieder Kettricken zuwandte, stand sie immer noch schweigend vor mir, aber der schwelende Zorn, der sie angetrieben hat, erstickte unter dem Schmerz und mit ihm ihre Entschlossenheit.
Ich mußte laut sprechen, um mir durch den pfeifenden Wind Gehör zu verschaffen. »Bitte, Hoheit, kommt mit mir nach Bocksburg zurück.«
Statt einer Antwort zog sie die Kapuze tiefer ins Gesicht, ging zu dem Maultier, stieg auf und überließ mir stumm die Zügel. Ihr bedrücktes Schweigen ließ mir den Rückweg länger und kälter erscheinen, zumal ich nicht stolz auf den Sinneswandel war, den ich bei ihr bewirkt hatte. Um mich abzulenken, spürte ich nach Cub und hatte ihn bald gefunden. Er folgte uns, wehte wie Rauch zwischen den Bäumen hindurch, nutzte Schneewehen und den verwirrenden Tanz der weißen Flocken als Deckung. Ich war nie ganz sicher, ihn wirklich gesehen zu haben; seine Instinkte leiteten ihn gut.
Denkst du, ich bin bereit, um zu jagen?
Nicht, ehe du bereit bist zu gehorchen. Ich ließ ihn meinen Unwillen merken.
Wie soll ich das eine wie das andere lernen, wenn ich allein jage, du ohne Rudel? Er war gekränkt und ärgerlich.
Wir näherten uns dem äußeren Mauerring von Bocksburg. Ich fragte mich, wie er hinausgelangt war, wenn nicht durch eins der Tore.
Soll ich es dir zeigen? Ein Friedensangebot.
Später vielleicht. Wenn ich Fleisch bringe. Ich spürte seine Zustimmung. Er hatte uns überholt und würde bei der Kate auf mich warten, wenn ich kam.
Um zu beweisen, daß sie sich meine Rüge zu Herzen genommen hatten, hielten die Wächter am Tor uns an. Glücklicherweise hatte der diensttuende Sergeant soviel Verstand, nachdem ich mich ausgewiesen hatte, nicht nach der Identität der Frau in meiner Begleitung zu fragen. Im Burghof ließ ich Querkopf anhalten, damit sie absteigen konnte. Als ich ihr die Hand reichte, spürte ich einen Blick im Rücken, so deutlich wie eine Berührung. Ich drehte mich um und sah Molly. Sie trug zwei Eimer, die sie am Brunnen gefüllt hatte, war stehengeblieben und schaute zu mir her, angespannt wie ein fluchtbereites Reh. Ihre Augen waren dunkel, ihr Gesicht sehr still. Nach einem Atemzug wandte sie sich steif ab, und ohne einen weiteren Blick in unsere Richtung ging sie über den Hof zur Küche. Ich hatte ein ungutes
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