Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
tun. Ich weiß, daß keine meiner Frauen gern bereit wäre, mich zu begleiten, bei diesem Wetter, zu Fuß oder wie auch immer. Deshalb bin ich allein. Und Federleicht wurde gestern verletzt. Abgesehen davon ist die vereiste Straße gefährlich für jedes Pferd. Deshalb bin ich zu Fuß. Alles logisch und vernünftig. Weshalb also bist du mir gefolgt und stellst mich zur Rede?«
Sie hatte Offenheit als Waffe gewählt, und ich entschied mich dafür, ihrem Beispiel zu folgen. Doch erst holte ich Atem und bemühte mich, einen respektvollen Ton anzuschlagen. »Hoheit, ich bin Euch gefolgt, weil ich Sorge hatte, Euch könnte ein Unglück widerfahren sein. Hier draußen, wo nur die Ohren eines Maultiers uns belauschen können, will ich sprechen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Habt Ihr so schnell vergessen, wer in Eurem eigenen Reich versucht hat, Veritas vom Thron zu stoßen? Würde er zögern, hier neue Intrigen zu spinnen? Ich denke nicht. Glaubt Ihr, daß Ihr Euch vor zwei Tagen im Wald verirrt habt, war weiter nichts als ein unglücklicher Zufall? Ich nicht. Und glaubt Ihr, was Ihr gestern getan habt, sei ihm wohlgefällig gewesen? Ganz im Gegenteil. Was Ihr für Euer Volk tut, sieht er als Versuch, Euch Macht zu verschaffen. Deshalb brütet er und beschließt, daß Ihr zu einer ernsthaften Bedrohung seiner Pläne geworden seid. Bestimmt seid Ihr Euch dieser Dinge bewußt. Weshalb bietet Ihr Euch als leichtes Ziel an, hier draußen, wo ein Pfeil oder ein Dolch Euch mit Leichtigkeit erreichen können und es keine Zeugen geben wird?«
»Ich bin kein so leichtes Ziel, wie du glaubst«, widersprach sie mir. »Es müßte ein wahrhaft einzigartiger Bogenschütze sein, der bei diesem wechselnden Wind einen Pfeil ins Ziel bringt. Und ein Dolch, nun, auch ich habe einen. Wer mich erstechen will, begibt sich in die Reichweite meiner Klinge.« Sie drehte sich um und ging weiter.
Ich gab nicht auf. »Und wozu würde das führen? Daß Ihr einen Menschen tötet. Aufruhr in der Burg, und Veritas müßte die Wächter bestrafen, weil ihre Pflichtvergessenheit Euch in Gefahr gebracht hat. Aber was, wenn der Mörder geschickter mit einem Messer wäre als Ihr? Was wären die Folgen für die Sechs Provinzen, wenn ich jetzt Euren Leichnam aus einer Schneewehe ziehen müßte?« Ich schluckte und fügte hinzu: »Meine Königin.«
Sie verlangsamte den Schritt, doch ihre Haltung verriet ungebrochenen Eigensinn. »Und welche Folgen hat es für mich, wenn ich Tag für Tag in der Burg sitze und weich und blind werde wie eine Made? FitzChivalric, ich bin keine Spielfigur, die auf dem Brett steht, bis ein Spieler geruht, mit ihr einen Zug zu machen. Ich bin – da ist ein Wolf, der uns beobachtet!«
»Wo?«
Sie streckte die Hand aus, doch das Tier war im Flockengestöber verschwunden. Nur ein geisterhaftes Lachen verklang in meinem Bewußtsein. Einen Moment später trug der umspringende Wind Querkopf seine Witterung zu. Das Maultier schnaubte und riß am Zügel. »Ich wußte nicht, daß die Wölfe sich so nahe an den Ort heranwagen«, verwunderte sich Kettricken.
»Nur ein Dorfköter, Hoheit. Wahrscheinlich ein halbverhungerter Streuner, der auf der Müllhalde nach etwas Freßbarem stöbert. Kein Grund, sich zu fürchten.«
Glaubst du? Ich bin hungrig genug, um dieses Maultier zu verschlingen!
Geh zurück und warte auf mich. Ich komme bald.
Die Müllhalde ist ganz woanders. Außerdem ist sie von Möwen belagert und stinkt. Das Maultier wäre frisch und wohlschmeckend.
Geh zurück, sage ich dir. Ich bringe Fleisch.
»FitzChivalric?« Kettrickens Stimme klang beunruhigt.
Meine Augen kehrten aus der Weite zu ihrem Gesicht zurück. »Ich bitte um Vergebung, Hoheit. Ich war in Gedanken.«
»Dann galt der Unmut in deiner Miene nicht mir?«
»Nein. Ein – anderer hat sich heute gegen meinen Willen aufgelehnt. Euch gilt meine Sorge, nicht mein Zorn. Wollt Ihr nicht auf Querkopf steigen und mit mir zur Burg zurückkehren?«
»Ich möchte mit meinem Gemahl sprechen.«
»Hoheit, es wird ihm nicht gefallen, wenn Ihr so zu ihm kommt.«
Sie seufzte und schien in ihrem Umhang kleiner zu werden. Mit verzagter Stimme fragte sie: »Hast du dir nie gewünscht, Fitz, in jemandes Nähe zu sein, ob willkommen oder nicht? Kannst du dir nicht vorstellen, wie einsam ich bin?«
Ich kann es.
»Ich weiß, ich habe meine Rolle zu spielen, als Königin-zur-Rechten, als Opfer für sein Land. Aber das ist nicht alles, was ich bin. Ich bin die Gemahlin
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