Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Gefühl. Dann ließ Kettricken meine Hand los und zog den Umhang vor der Brust zusammen. Auch sie schaute mich nicht an, sondern sagte nur leise: »Ich danke dir, FitzChivalric«, bevor sie langsam die Treppe zum Portal hinaufstieg.
Ich brachte Querkopf in den Stall zurück und versorgte ihn. Flink, der vorbeikam, hob fragend eine Augenbraue. Als ich nickte, ging er wieder an seine Arbeit. Manchmal glaube ich, das war, was mir an Flink am besten gefiel: seine Bereitschaft, das auf sich beruhen zu lassen, was ihn nichts anging.
Für meinen nächsten Schritt mußte ich Mut fassen. Ich ging zu dem Platz hinter der Reitbahn. Eine dünne Rauchfahne und der beißende Geruch von verkohlendem Haar und Fleisch dienten mir als Wegweiser. Burrich stand neben dem Feuer und sah zu, wie es brannte. Er hob den Kopf, als ich näherkam, blickte jedoch durch mich hindurch und sagte kein Wort. Seine Augen waren dunkle Höhlen voller Schmerz, der in Wut umschlagen würde, sollte ich es wagen, ihn anzusprechen. Doch ich war nicht seinetwegen gekommen. Ich zog mein Messer, schnitt mir eine fingerlange Haarsträhne ab, warf sie auf den Scheiterhaufen und sah zu, wie sie aufzischte und verschmorte. Hexe. Eine ganz ausgezeichnete Hündin. Etwas kam mir in den Sinn, und ich sprach es aus. »Sie war dabei, als Edel zum erstenmal einen Blick auf mich warf. Sie lag neben mir und knurrte ihn an.«
Nach einer Weile nickte Burrich zu meinen Worten. Auch er war dabeigewesen. Ich drehte mich um und ging.
Meine nächste Station war die Küche, wo ich ein paar saftige Knochen zusammensuchte, Überbleibsel des gestrigen Gelages. Es war kein frisches Fleisch, doch es mußte genügen. Cub hatte recht. Sehr bald mußte ich ihn fortbringen und freilassen, damit er lernte, selbständig zu sein. Burrichs Schmerz hatte mich in meinem Entschluß bestärkt. Hexe war ein langes Leben beschert gewesen, für einen Hund, nicht jedoch für Burrichs Herz. Sich einem Tier zu verschwistern hieß, sich bewußt diesem zukünftigen Schmerz auszuliefern. Mein Herz war bereits oft genug gebrochen worden.
Auf dem Weg zur Kate grübelte ich darüber nach, wie dieses Vorhaben am besten in die Tat umzusetzen wäre, als eine Ahnung mich warnte. Zu spät, schon traf mich sein Anprall mit voller Wucht. Pfeilschnell war er aus dem Hinterhalt aufgetaucht und versetzte mir im Vorbeilaufen mit der Schulter einen Rammstoß in die Kniekehlen. Ich fiel der Länge nach in den Schnee. Kaum hatte ich den Kopf gehoben und mir die Augen freigewischt, als er sich herumwarf und wieder auf mich losstürmte. Ich warf schützend einen Arm hoch, doch er pflügte einfach über mich hinweg, seine scharfen Krallen bohrten sich in mein Fleisch.
Hab dich, hab dich, hab dich! Übermütiger Triumph.
Diesmal schaffte ich es, mich halb aufzurichten, bevor er mir gegen die Brust sprang. Ich kippte nach hinten, war aber geistesgegenwärtig genug, ihn zu packen, und wir rollten über den Boden. Er zwickte mich, hierin, dorthin, schmerzhaft manchmal, und die ganze Zeit tönte seine Stimme in meinem Kopf: Spaß. Spaß. Spaß, hab dich, hab dich, hab dich! Hier – du bist tot, hier – dein Vorderlauf ist gebrochen, hier – dein Blut fließt, hab dich, hab dich, hab dich!
Genug! Genug! Und »Genug!« brüllte ich schließlich, und er ließ von mir ab und sprang geduckt zurück. Während ich mich aufrappelte, galoppierte er wie toll durch den aufstiebenden Schnee und kehrte in einem Halbkreis zu mir zurück. Ich kreuzte die Arme vor dem Gesicht, doch er schnappte sich den Knochensack und ergriff damit die Flucht, eine unmißverständliche Aufforderung an mich, ihm zu folgen. So leicht durfte ich ihm den Sieg nicht machen, deshalb stürmte ich hinterher, rempelte ihn zur Seite, griff nach dem Sack, und es entspann sich ein Tauziehen, bei dem es ihm gelang, mich zu übertölpeln. Unvermutet ließ er los, zwickte mich so fest in den Unterarm, daß meine Hand taub wurde, und machte sich mit der Beute auf und davon. Erneut nahm ich die Verfolgung auf.
Hab dich. Ich zog ihn am Schwanz. Hab dich! Durch einen Kniestoß gegen die Schulter brachte ich ihn aus dem Gleichgewicht. Hab den Sack! Und ich rannte, als gelte es das Leben. Er sprang mir mit allen vier Pfoten in den Rücken, warf mich platt in den Schnee und entführte mir den Preis.
Ich weiß nicht, wie lange wir herumtollten. Schließlich lagen wir beide keuchend im Schnee, in animalisch-gedankenloser Zufriedenheit. Der Sack hatte das Gezerre nicht
Weitere Kostenlose Bücher