Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
abgesehen hatte? Meine Hand glitt zum Messer an meinem Gürtel, ich spannte die Muskeln. Eine Gestalt schlüpfte herein und schloß die Tür leise hinter sich. Ich zog langsam das Messer.
Es ist dein Weibchen. Nachtauge reckte sich und gähnte. Sein Schwanz wedelte träge. Mit dem nächsten Atemzug sog ich ihren süßen Duft ein – Molly – und spürte, wie mein Körper zum Leben erwachte. Die Augen geschlossen, lag ich still und ließ sie herankommen. Ich hörte ihr mißbilligendes Zungenschnalzen und dann ein Rascheln, als sie die Schriftrollen aufsammelte und ordentlich auf den Tisch legte. Dann berührte sie scheu meine Wange. »Neuer?«
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, mich schlafend zu stellen. Sie setzte sich zu mir aufs Bett. Ich fühlte, wie die Matratze unter ihrem Gewicht nachgab, dann beugte sie sich über mich und legte ihren weichen Mund auf den meinen. Ich streckte die Arme aus und zog sie an mich, von einem dankbaren Staunen erfüllt. Bis gestern war ich jemand gewesen, in dessen Leben körperliche Berührungen Seltenheitswert hatten. Ein kameradschaftliches Schulterklopfen, ein zufälliges Anstoßen im Gedränge oder – in letzter Zeit zu häufig – Hände, die versuchten, mich zu erwürgen. Dann die vergangene Nacht und nun dies. Sie ließ sich auf das Bett sinken und schmiegte sich an mich. Ich atmete ihren Duft ein, lag still und spürte genußvoll den Stellen nach, wo ihr Körper den meinen berührte und wärmte. Das Gefühl glich einer schwebenden Seifenblase, und ich wagte kaum zu atmen, damit sie nicht zerplatzte.
Schön, stimmte Nachtauge zu. Nicht so viel Alleinsein mehr. Fast wie im Rudel.
Ich zuckte zusammen und rückte ein Stück von Molly ab.
»Neuer? Was ist?«
Mein. Dies ist mein und gehört nicht zu den Dingen, die ich mit dir teile. Verstehst du?
Selbstsüchtig. Dies ist nicht etwas wie Fleisch, das durch Teilen weniger wird.
»Einen Augenblick, Molly. Ich habe einen Krampf.«
In welchem Glied? Anzüglich.
Nein, es ist nicht wie Fleisch. Fleisch würde ich stets mit dir teilen, und Behausung, und ich werde immer kommen, um an deiner Seite zu kämpfen, wenn du mich brauchst. Immer werden wir Jagdgefährten sein. Aber dies hier mit meinem – Weibchen, das ist nur für mich. Ganz allein.
Nachtauge schnaufte und kratzte nach einem Floh. Du ziehst immer Grenzen, die es nicht gibt. Das Fleisch, die Jagd, das Verteidigen des Reviers und Weibchen – das alles gehört zum Rudel. Wenn sie Junge hat, werde ich nicht jagen, um sie zu ernähren? Werde ich nicht kämpfen, um sie zu schützen?
Nachtauge… Ich kann dir das jetzt nicht erklären. Ich hätte früher mit dir sprechen sollen. Für diesmal, wirst du dich zurückziehen? Wir reden darüber, ich verspreche es. Später.
Ich wartete. Nichts. Keine Regung mehr von ihm. Soweit, so gut. Jetzt der nächste.
»Neuer? Ist was mir dir?«
»Nein, mir geht es gut. Es ist nur – ich brauche einen Moment Zeit.« Ich glaube, mir ist nie im Leben etwas so schwer gefallen. Molly neben mir versteifte sich, ihr ganzer Körper drückte Befremden aus, während ich mich darauf konzentrieren mußte, meine Grenzen zu definieren, meine Mitte zu finden und eine Mauer um meine Gedanken zu ziehen. Zaumzeug anlegen. Daran erinnerte es mich, und das war das Bild, dessen ich mich bediente. Nicht zu locker, nicht zu fest. Mich in meinen eigenen Körper fesseln, damit ich nicht Veritas aus dem Schlaf weckte.
»Ich habe das Gerede gehört«, begann Molly und brach unschlüssig ab. »Es tut mir leid, ich hätte nicht kommen sollen. Ich dachte, vielleicht brauchst du… aber was du brauchst, ist vielleicht Ruhe und Alleinsein.«
»Nein, Molly, bitte. Molly, komm zurück, komm zurück«, und ich warf mich quer über das Bett hinter ihr her und bekam den Saum ihres Kleides zu fassen, als sie sich anschickte zu gehen.
Sie drehte sich zu mir um, sichtlich unschlüssig.
»Du bist immer genau das, was ich brauche. Immer.«
Ein zaghaftes Lächeln glitt über ihre Lippen, und sie setzte sich auf die Bettkante. »Du kamst mir so weit entfernt vor.«
»Das war ich auch. Manchmal muß ich meine Gedanken ordnen.« Ich verstummte. Was konnte ich noch sagen, ohne sie wieder anzulügen? Und anlügen wollte ich sie nicht mehr. Ich griff nach ihrer Hand.
»Oh«, sagte sie nach kurzem Warten, als keine weiteren Erklärungen folgten. Es entstand ein unbehagliches Schweigen. »Geht es dir gut?« fragte sie endlich.
»Ausgezeichnet. Nur habe ich heute
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