Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
keine Audienz bei König Listenreich erhalten. Er fühlt sich nicht wohl und…«
»Dein Gesicht ist zerschlagen und zerkratzt. Es gehen Gerüchte um…«
Ich hielt für eine Sekunde den Atem an. »Gerüchte?« Veritas hatte die Männer zum Schweigen verpflichtet. Burrich redete nicht, von Blade konnte man das gleiche annehmen. Vielleicht hatte keiner von ihnen zu jemanden gesprochen, der nicht dabei gewesen war, doch Männer reden über gemeinsam Erlebtes, und dann ist auch jemand zur Stelle, der dies und jenes aufschnappt.
»Spiel nicht Katz und Maus mit mir. Wenn du mit mir nicht darüber sprechen willst, dann sag’s.«
»Der König-zur-Rechten hat uns gebeten, Stillschweigen zu bewahren. Das ist nicht dasselbe, als wollte ich nicht mit dir darüber sprechen.«
Molly dachte nach. »Wahrscheinlich nicht. Und ich wollte nicht auf Gerede hören, ich weiß. Aber die Gerüchte waren so beunruhigend… und man hat Tote in die Burg gebracht, um sie zu verbrennen. Und in der Küche saß heute eine Fremde, die weinte und weinte. Die Entfremdeten hätten ihr Kind gestohlen und umgebracht. Und jemand erzählte, du hättest mit ihnen gekämpft, um das Kind zu retten, und andere sagten, nein, du wärst dazu gekommen, als ein Bär sich auf sie stürzte. Keiner wußte etwas Genaues. Erst hieß es, du habest sie alle getötet, dann kam jemand, der dabei geholfen hatte, die Leichen zu verbrennen, und meinte, wenigstens zwei wären von irgendeinem Tier zerfleischt worden.« Sie schwieg und sah mich an. Ich wollte nicht an den schrecklichen Vorfall denken. Ich wollte sie nicht anlügen, schon gar nicht wollte ich ihr die Wahrheit sagen. Nie würde ich jemandem die volle Wahrheit anvertrauen können. Also lag ich nur neben ihr, schaute ihr in die Augen und wünschte mir, es wäre nicht alles so schwierig für uns.
»FitzChivalric?«
Aus ihrem Mund klang mir dieser Name noch immer fremd in den Uhren. Ich seufzte. »Der König hat uns gebeten, nicht darüber zu sprechen. Aber – ja, es wurde ein Kind getötet, von Entfremdeten. Und ich kam dazu, ohne noch helfen zu können. Es war das Traurigste, Erschütterndste, was ich je mitangesehen habe.«
»Verzeih mir. Ich wollte nicht neugierig sein, aber Ungewißheit ist schwer zu ertragen.«
»Ich weiß.« Ich strich über ihr Haar, und sie lehnte den Kopf gegen meine Hand. »Vor einiger Zeit habe ich dir einmal erzählt, ich hätte dich im Traum in Syltport gesehen. Auf dem ganzen langen Weg aus dem Bergreich zurück nach Bocksburg quälte mich die Angst, du könntest bei dem Überfall der Roten Korsaren ums Leben gekommen sein. Manchmal dachte ich, die Trümmer des Hauses wären auf den Keller gestürzt, dann wieder, die Frau mit dem Schwert hätte dich getötet…«
Molly schaute mich an. »Als das Haus einstürzte, hüllte eine Wolke aus Funken und Rauch uns ein. Sie wurde davon geblendet, während ich mit dem Rücken dazu stand. Ich – ich erschlug sie mit der Axt.« Sie fröstelte. »Ich habe niemanden davon erzählt. Niemanden. Wie kannst du davon wissen?«
»Ich habe es geträumt.« Ich zitterte immer noch. Ich nahm sie in die Arme und zog sie an mich. »Manchmal habe ich Wahrträume. Nicht sehr oft.«
Sie bog den Oberkörper zurück, ihre Augen forschten in meinem Gesicht. »Du würdest mich nicht belügen, oder doch?«
Die Frage tat weh, aber ich hatte es verdient. »Nein, es ist keine Lüge, das verspreche ich dir. Und ich verspreche dir, daß ich dich niemals anlügen…«
Sie legte mir den Zeigefinger auf die Lippen. »Ich habe Hoffnung, daß wir unser ganzes künftiges Leben miteinander verbringen werden. Deshalb gib mir kein Versprechen, das du nicht halten kannst bis ans Ende deiner Tage.« Ihre andere Hand griff nach der Verschnürung an meinem Hemd. Nun begann ich zu zittern.
Ich küßte ihre Finger. Und dann ihren Mund. Irgendwann stand Molly auf und verriegelte die Tür. Ich weiß noch, wie ich ein flehentliches Gebet zum Himmel sandte, dies möge nicht die Nacht sein, in der Chade von seiner Reise zurückkehrte. Allem Anschein nach wurde ich erhört und war selbst ein Reisender in jener Nacht, an einen Ort, der mir immer vertrauter wurde, ohne darum seinen Zauber zu verlieren.
Bevor Molly ging, weckte sie mich und bestand darauf, daß ich hinter ihr den Riegel wieder vorlegte. Ich wollte mich anziehen und sie zu ihrem Zimmer begleiten, aber sie lehnte gekränkt ab und meinte, sie wäre durchaus imstande, allein ein paar Stufen hinaufzugehen, und je
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