Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
liegt.«
    »Gut. Sehr gut«, lobte ich, obwohl ich nichts Brauchbares erfahren hatte. Sie wandte den Blick von dem Blut an meinem Gesicht ab. »Molly«, sagte ich sehr ruhig und eindringlich, »ich werde nicht mehr zu dir kommen. Vorläufig. Weil…«
    »Du hast Angst.«
    »Ja!« zischte ich. »Ja, ich habe Angst. Angst, daß sie dir etwas antun, daß sie dich töten. Um mich zu treffen. Wenn ich zu dir komme, bringe ich dich in Gefahr.«
    Sie schwieg, aber ich wußte nicht, ob sie mir zugehört hatte. Wie unbewußt schlang sie sich die Arme um den Leib.
    »Ich liebe dich zu sehr, um das zu tun.« Es hörte sich jämmerlich an, sogar in meinen eigenen Ohren.
    Sie drehte sich wortlos um und ließ mich stehen. Ihr Schritt war schleppend, und sie hielt noch immer den Oberkörper umschlungen, als hätte sie Angst, in Stücke zu brechen. Eine schmale, unendlich verlassen wirkende Gestalt in ihren beschmutzten blauen Röcken, den stolzen Nacken gebeugt.
    »Molly Rotrock«, flüsterte ich hinter ihr her, aber die Molly von damals konnte ich nicht mehr sehen. Nur das, was ich aus ihr gemacht hatte.

KAPITEL 24
GUTHAVEN
     
    Der Narbenmann ist im Volksglauben der Sechs Provinzen der Vorbote kommenden Unheils. Ihn die Straßen entlangziehen zu sehen heißt, daß bald Krankheit und Seuchen das Land heimsuchen werden. Von ihm zu träumen soll davor warnen, daß bald jemand stirbt. In Märchen erscheint er oft jenen, die Unrecht getan haben, um sie zu bestrafen, doch manchmal dient er, besonders im Puppentheater, allgemein als Symbol für dunkle Wolken am Schicksalshimmel. Baumelt eine Marionette des Narbenmannes vor der Kulisse, weiß das Publikum, daß es bald Zeuge einer Tragödie sein wird.
     
    Die Wintertage verstrichen mit quälender Langsamkeit, und jede Stunde eines jeden Tages war ich auf der Hut. Nie betrat ich einen Raum, ohne erst meine Blicke vorauszuschicken. Ich rührte keine Speisen an, bei deren Zubereitung ich nicht zugegen gewesen war, trank nur Wasser, das ich selbst am Brunnen geschöpft hatte. Ich schlief miserabel. Der andauernde Zwang zur Wachsamkeit hinterließ seine Spuren an mir. Wer mich ansprach, handelte sich eine schroffe Abfuhr ein. Burrich brachte ich meine schlechte Laune mit, bei der Königin zeigte ich mich maulfaul. Chade, der einzige, dem ich mein Herz hätte ausschütten können, rief nicht nach mir. Ich fühlte mich jämmerlich einsam. Zu Molly wagte ich nicht zu gehen, meine Krankenbesuche bei Burrich hielt ich so kurz wie möglich, um nicht auch ihn noch in meine Schwierigkeiten mit hineinzuziehen. Auf dem normalen Weg konnte ich Bocksburg nicht verlassen, um mit Nachtauge umherzustreifen, und unseren geheimen Pfad wollte ich nicht benutzen, falls ich beobachtet wurde. Alles in allem blieb mir nichts anderes übrig, als abzuwarten und Augen und Ohren offenzuhalten, aber daß überhaupt nichts mehr geschah, entwickelte sich zu einer ausgeklügelten Tortur zermürbender Anspannung.
    Jeden Tag ging ich zu König Listenreich, sah ihn vor meinen Augen dahinschwinden, erlebte, wie der Narr immer griesgrämiger wurde, sein Humor ätzender. Ich sehnte mich nach einem Wetter, das meine Stimmung widerspiegelte, aber der Himmel war blau und der Wind nur ein Lüftchen. In der Burg ging es an den Abenden laut und lebhaft zu. Es gab Maskenbälle und Sängerwettstreite um fette Börsen. Die Inlandherzöge und -barone speisten gut an Edels Tafel und tranken mit ihm bis spät in die Nacht.
    »Wie Zecken an einem sterbenden Hund«, bemerkte ich eines Tages zu Burrich, während ich den Verband an seinem Bein wechselte. Er hatte geäußert, es fiele ihm nicht schwer, auf seinem nächtlichen Posten vor Kettrickens Tür wachzubleiben. Im Gegenteil: bei dem Lärm, der von unten heraufdrang, wäre es ein Kunststück einzuschlafen.
    »Wer stirbt?« erkundigte er sich.
    »Wir alle. Jeden Tag ein bißchen mehr. Hat dir das noch nie jemand gesagt? Aber diese Wunde heilt überraschend gut nach allem, was du damit angestellt hast.«
    Er betrachtete sein nacktes Bein und beugte es vorsichtig. Das Narbengewebe spannte, doch es hielt. »Oberflächlich vielleicht, aber von innen fühlt es sich nicht geheilt an«, meinte er. Es war keine Klage. Er hob seinen Branntweinbecher und stürzte den Inhalt hinunter. Ich schaute aus schmalen Augen zu. Seine Tage verliefen nach einem festgelegten Muster. Wenn morgens sein Dienst zu Ende war, ging er hinunter in die Küche, um zu frühstücken. Dann zog er sich in seine Kammer

Weitere Kostenlose Bücher