Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
die Korsaren Guthaven einnehmen und besetzen, haben sie uns in der Zange. Kein Schiff wird mehr aus unserem Hafen auslaufen können. Selbst Edel muß das begreifen. Nun geh, Junge! Geh!«
Ich streifte irgendeine Hose über, ein Hemd und lief zur Tür, ungekämmt und barfuß. Plötzlich blieb ich stehen. »Und was sage ich, woher ich das weiß?«
Chade warf in hilfloser Verzweiflung die Hände in die Luft.
»Verdammt und zugenäht! Erzähl ihnen irgend etwas. Sag Listenreich, der Narbenmann hätte dir im Traum das Bild in einem klaren Teich gezeigt. Er wenigstens sollte den Hinweis verstehen! Sag ihnen, ein Uralter hätte dir die Botschaft gebracht. Denk dir etwas aus, aber bring sie zum Handeln, und das schnellstens!«
»Gut!« Ich stürmte zur Treppe, die Stufen hinunter und zwei Stockwerke tiefer den Flur entlang zu König Listenreichs Gemächern. Am Ende des Korridors stand Burrich auf seinem Posten. Er schaute zu mir her, als ich gegen die Tür hämmerte, zog sein kurzes Schwert und nahm eine kampfbereite Haltung an. »Piraten!« rief ich ihm zu. Sollte es ruhig jeder hören. »Fünf Rote Schiffe in Guthaven! Weck die Königin! Sag ihr, unsere Hilfe wird gebraucht!«
Ohne weitere Fragen zu stellen, klopfte Burrich an Kettrickens Tür und wurde sofort eingelassen. Für mich war es nicht leicht. Wallace lugte grämlich durch einen schmalen Spalt zu mir hinaus, stellte sich aber taub für meine Bitten, bis ich ihm den Vorschlag machte, er solle persönlich in die Große Halle eilen und Edel mitteilen, was sich begeben hatte. Ich nehme an, die Aussicht auf ein dramatisches Entree und sich dann vor all den vornehmen Herrschaften am Hohen Tisch vertraulich zu des Prinzen Ohr zu neigen, untergrub sein ansonsten so ausgeprägtes Pflichtbewußtsein. Er ließ die Tür unbewacht, als er zu seinem kleinen Alkoven hastete, um sein Äußeres würdig herzurichten.
Des Königs Schlafgemach lag völlig im Dunkeln, der Geruch von Glimmkraut hing schwer in der Luft. Ich griff mir im Tageszimmer eine Kerze, entzündete sie am heruntergebrannten Feuer und ging hinein. Im Finstern wäre ich fast auf den Narren getreten, der wie ein Hund zusammengerollt vor dem Bett des Königs schlief. Ich schaute ungläubig auf ihn nieder. Er hatte nicht einmal ein Kissen oder eine Decke, sondern mußte sich mit dem Vorleger begnügen. Erst regte er sich nur schlaftrunken, dann aber schrak er hoch. »Was ist? Was gibt es?« fragte er.
»Piraten in Guthaven. Fünf Rote Schiffe. Ich muß es dem König melden. Weshalb schläfst du hier? Fürchtest du dich, in dein eigenes Zimmer zurückzukehren?«
Er lachte bitter. »Eher, in dieses nicht mehr zurückkehren zu können, wenn ich es einmal verlassen habe. Das letzte Mal, als Wallace mich ausgesperrt hatte, mußte ich eine Stunde lang klopfen und rufen, bevor der König meine Abwesenheit bemerkte und nach mir verlangte. Das Mal davor bin ich mit dem Frühstück hereingeschlüpft, und das Mal davor…«
»Man will dich von dem König trennen?«
Er nickte. »Mit Zuckerbrot oder der Peitsche. Heute abend hat Edel mir einen Beutel mit fünf Goldstücken angeboten, ich solle mein schönstes Gewand anlegen und in die Halle hinunterkommen, um ihn und seine Gäste zu unterhalten. Oh, wie er sich ausgelassen hat, nachdem du gegangen warst, darüber, wie man mich bei Hofe vermißt und welche Schande es sei, daß ich meine Jugend hier oben in der Abgeschiedenheit vergeude. Und als ich ihm antwortete, ich fände König Listenreichs Gesellschaft ersprießlicher als die von anderen Narren, warf er die Teekanne nach mir. Zu Freund Walrossens unverhohlenem Mißvergnügen, hatte er doch gerade einen solchen abscheulichen Kräutersumpf gebraut, daß es einen nach dem Duft von Fürzen verlangen könnte.«
Während unseres Gesprächs hatte der Narr Kerzen angezündet und das Feuer im Kamin geschürt. Jetzt zog er einen der schweren Bettvorhänge zur Seite. »Majestät?« sagte er, sanft wie zu einem Kind. »FitzChivalric ist gekommen, mit einer wichtigen Nachricht für Euch. Wollt Ihr erwachen und ihn anhören?«
Erst schien es, als hätten den König die Worte nicht erreicht. »Euer Majestät?« wiederholte der Narr. Er befeuchtete ein Tuch mit kaltem Wasser und betupfte damit das Gesicht des Kranken. »König Listenreich?«
»Mein König, euer Volk ist in Not!« Die Worte stürzten mir von den Lippen. »Guthaven wird von den Korsaren belagert. Fünf Rote Schiffe. Wir müssen auf der Stelle Truppen entsenden
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