Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
ihre Haltung verriet Entschlossenheit. »Ich darf Euch nicht aus dem Tor lassen. Ich habe meine Befehle.«
Liebend gerne hätte ich sie gepackt und zur Seite geschleudert, aber ich zwang mich zur Ruhe. Ein Handgemenge mit ihr würde Molly nicht helfen. »Dann unternimm du etwas, verdammt! Kannst du nicht sehen, daß die Frau in irgendwelchen Schwierigkeiten ist?«
Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Miles!« rief sie, und der Junge erschien in der Tür. »Lauf und sieh nach, was dieser Frau fehlt. Eil dich.«
Der Junge stürmte davon. Ich mußte hilflos über die Schulter der Wachhabenden hinweg sehen, wie Miles bei Molly anlangte, sie mit einem Arm stützte und mit der freien Hand ihren Korb nahm. An ihn geklammert, nach Atem ringend und den Tränen nahe ließ Molly sich das letzte Stück zum Tor führen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bevor sie heran war und sich in meine Arme warf. »Fitz, o Fitz!« schluchzte sie.
»Komm.« Ich zog sie mit mir. Ja, ich hatte das Richtige getan, das Vernünftige, trotzdem fühlte ich mich klein und erbärmlich.
»Weshalb bist du – bist du nicht gekommen?« fragte Molly atemlos.
»Am Tor hat man Order, mich nicht aus Bocksburg hinauszulassen.« Ich konnte fühlen, wie sie am ganzen Leib zitterte. Hinter einer Ecke des Vorratshauses, wo uns die gaffenden Torwachen nicht mehr sehen konnten, hielt ich sie in den Armen, bis sie sich beruhigte. »Was ist mit dir? Was ist geschehen?« Ich versuchte, meiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, und strich ihr das wirre Haar aus dem Gesicht. Schließlich gewann sie ihre Fassung wieder, auch wenn sie immer noch zitterte.
»Ich war in den Ort gegangen. Prinzessin Philia hatte mir den Nachmittag freigegeben, und ich brauchte ein paar Zutaten für meine Kerzen.« Während sie sprach, wurde sie ruhiger. Ich hob ihr Kinn hoch, so daß sie mir in die Augen sah.
»Und dann?«
»Ich war auf dem Rückweg. Da, wo es ziemlich steil bergauf geht, bei den fünf Erlen.«
Ich nickte. Ich kannte die Stelle.
»Ich hörte Pferde kommen. Im Galopp. Also trat ich zur Seite, um ihnen Platz zu machen.« Sie fing wieder an zu zittern. »Ich ging weiter und dachte, sie reiten vorbei, aber plötzlich waren sie dicht hinter mir, und als ich mich umschaute, kamen sie genau auf mich zu. Nicht auf der Straße, am Rand, wo ich ging. Ich sprang ins Gestrüpp, aber sie kamen mir hinterher. Ich drehte mich um und lief weg, aber sie…« Ihre Stimme wurde immer höher und schriller.
»Ruhig. Langsam, denk nach. Wie viel waren es? Hast du sie gekannt?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Zwei. Ihre Gesichter konnte ich nicht sehen. Sie hatten solche Helme auf, die bis über Mund und Nase reichen. Sie haben mich gejagt. Es ist steil da, wie du weißt, und alles von Buschwerk überwuchert. Ich versuchte zu entkommen, aber sie spornten ihre Pferde durch das Gesträuch und trieben mich vor sich her, wie Hunde Schafe treiben. Ich lief und lief, aber sie blieben mir auf den Fersen. Dann stolperte ich über einen Ast und fiel hin. Sie sprangen von ihren Pferden. Einer drückte mich auf den Boden, während der andere sich meinen Korb nahm. Er schüttete ihn aus, als suchte er etwas, aber dabei lachten sie und lachten. Ich dachte…«
Mein Herz klopfte jetzt mindestens so angstvoll wie Mollys. »Haben sie dir wehgetan?« fragte ich drängend.
Sie antwortete nicht gleich, als könnte sie sich nicht darüber klar werden, dann schüttelte sie ruckartig den Kopf. »Nicht so, wie du es befürchtest. Er hat mich nur – festgehalten. Und gelacht. Der andere, er sagte… er sagte, ich wäre schön dumm, es mir von einem Bastard besorgen zu lassen. Sie sagten…«
Sie biß sich auf die Lippen. Was immer diese Männer zu ihr gesagt hatten, war zu häßlich gewesen, als daß sie es vor mir wiederholen konnte. Ich empfand es wie einen Messerstich, daß es ihnen gelungen war, sie so tief zu verletzen, daß sie es nicht einmal über sich brachte, den Schmerz zu teilen. »Sie warnten mich«, sprach sie schließlich weiter. »Sie sagten, halte dich fern von dem Bastard. Tu nicht seine schmutzige Arbeit. Sie sagten – Dinge, die ich nicht verstehe, über Botschaften, Spione und Hochverrat. Sie drohten, sie könnten dafür sorgen, daß bald jedermann weiß, daß ich des Bastards Hure bin.« Sie bemühte sich, das Wort einfach nur auszusprechen, doch es brach aus ihr hervor. »Dann sagten sie, man würde mich hängen, wenn ich nicht auf sie hörte. Wer Handlanger eines
Weitere Kostenlose Bücher